Leipzig wird im Regen stehen
Veränderungen im Wasserhaushalt durch die Klimaerwärmung werden sich auch auf Leipzig signifikant auswirken. Neben vermehrter Migration werden auch Extremwetterereignisse wahrscheinlicher.
Zwischen 26 und 55 Zentimeter wird der mittlere Meeresspiegel laut Weltklimarat bei einer globalen Erwärmung zwischen 0,3 und 1,7 Grad bis zum Ende des 21. Jahrhunderts (2081 bis 2100, relativ zu den Jahren 1986 bis 2005) gestiegen sein. Zwischen den Jahren 1901 und 2010 sei der Meeresspiegel bereits „sehr wahrscheinlich“ um 17 bis 21 Zentimeter gestiegen. Von einer Überflutung ist Leipzig damit noch weit entfernt. Die größeren Auswirkungen seien durch klimagetriebene Migration zu erwarten, sagt Andreas Marx, wissenschaftlicher Koordinator der Helmholtz-Initiative Klimaschutz und Anpassung sowie Leiter des Mitteldeutschen Klimabüros am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). Außerdem wird Leipzig laut Karsten Rinke, dem Leiter des Departments Seenforschung am UFZ, von immer mehr Extremwetterereignissen betroffen sein.
„Direkte Auswirkungen des Meeresspiegelanstiegs auf Leipzig sind nicht zu erwarten“, beantwortet Andreas Marx eine Anfrage von luhze. Als indirekte Folge müssten aber selbst unter niedrigen zukünftigen Treibhausgasemissionen künftig 190 Millionen Menschen Meeresspiegel-bedingt auswandern, sagt er und verweist auf eine Studie der Autoren Scott Kulp und Benjamin Strauss aus dem Jahr 2019, in der die Höhe besiedelter Gebiete Anhaltspunkt für die Berechnungen ist. Diese kommt unter höheren Emissionen zu 630 Millionen Flüchtlingen bis zum Ende des Jahrhunderts, was aktuell etwa acht Prozent der Weltbevölkerung entspricht.
Neben dem Meeresspiegelanstieg, der die Bewohner*innen von Küstengebieten zur Auswanderung zwingen wird, verändert sich laut Karsten Rinke auch Leipzigs regionaler Wasserhaushalt mit einer steigenden globalen Erwärmung. „Wir können die Temperaturentwicklung bis 2100 ganz gut vorhersagen für unterschiedliche Politik-Szenarien“, sagt der Seenforscher, „aber die Entwicklung der Niederschläge ist sehr unsicher und weniger verlässlich.“ Ein Großteil der Modelle sage aus, dass die Gesamtmenge ungefähr gleichbleibe, es aber im Winter etwas mehr und im Sommer weniger werde. Das verschärft laut Rinke die Dürren in den Sommermonaten. Durch das Wasserdefizit in der Landschaft gingen der Grundwasserspiegel und die Abflussmenge der Flüsse nach unten.
Gleichzeitig sagt er eine steigende Eintrittswahrscheinlichkeit von Extremereignissen voraus. Starkregen seien ein besonderes Problem, denn „je wärmer die Atmosphäre ist, desto mehr Wasser kann sich darin lösen.“ Mit einem Temperaturanstieg steige also die Intensität der Regen, sagt Rinke. Für Betrachtungen von Gewitterentwicklungen etwa auf Sachsen-Ebene seien die Modelle, die es gebe, allerdings nicht feinskaliert genug. Laut Johannes Quaas vom Institut für Meteorologie der Uni Leipzig wären Projektionen, die auf ein kleineres Gebiet als Mitteleuropa schauen, jedoch auch in ihren Vorhersagen zu unsicher.
Die verschiedenen Vorhersagen, die der Weltklimarat beispielsweise in Bezug auf den zu erwartenden Temperatur- und den damit zusammenhängenden Meeresspiegelanstieg macht, basieren auf unterschiedlichen, für möglich gehaltenen Emissions-Szenarien, die Treibhausgaskonzentrationswerte für das Jahr 2100 projizieren. Eine besondere Rolle spielt in diesem Zusammenhang das im Pariser Klimaabkommen der Vereinten Nationen definierte Ziel, einen Temperaturanstieg auf deutlich unter zwei Grad und möglichst 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau zu beschränken. In seinem Sonderbericht 2018 schreibt der Weltklimarat, dass der „globale mittlere Meeresspiegelanstieg laut Projektionen bei 1,5 Grad globaler Erwärmung um etwa 0,1 Meter geringer als bei zwei Grad Celsius sein“ wird („mittleres Vertrauen“).
Während sowohl Rinke als auch Quaas das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels für unrealistisch halten, rechnet Ersterer gar mit vier bis fünf Grad. Im „Worst-Case“-Szenario des Weltklimarats (RCP 8.5) erhöht sich die Temperatur um zwischen 2,6 und 4,8 Grad. Diese Entwicklung wird auch von den Autoren Christopher Schwalm, Spencer Glendon und Philip Duffy in einem Bericht aus diesem Jahr für das – unter gegebenen politischen Umständen – wahrscheinlichste Szenario bis zur Mitte dieses Jahrhunderts gehalten. In diesem Fall würde der Meeresspiegel zwischen 45 und 82 Zentimeter ansteigen. Quaas hält dies insgesamt für eine vor allem politische und Gerechtigkeitsfrage. Seiner Meinung nach hängt alles vor allem davon ab, „welche Folgen des Klimawandels die Gesellschaft tolerieren möchte“.
Titelfoto: Edith Löber
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