Neue Gesichter, alte Gewalt
Anfang 2015 war Legida Thema Nummer eins, auch in der Januarausgabe von student!. Manches aus den damaligen Berichten erinnert aus heutiger Sicht an die Demonstrationen der Coronaleugner*innen.
„Und dann ist Chaos“ titelt die Süddeutsche Zeitung, „Sächsischer Kontrollverlust“ die Taz. Zwischen den Überschriften liegen mehr als fünf Jahre. Am 21. Januar 2015 eskalierte eine Legida-Demo, am 7. November 2020 eine der Bewegung Querdenken.
Deutschland schaut auf Leipzig und sieht vor allem Gewalt. Diesen Eindruck bekommt man beim Lesen der Berichte. Doch die beiden Bewegungen verbindet noch mehr. Beispielsweise sprechen sie in weiten Teilen ähnliche Milieus an. „Die gleichen Leute, die 2015 schon ‚besorgt‘ waren, sind jetzt immer noch ‚besorgt‘“, sagt Alfred Vogt vom Sozialistisch-Demokratischen Studierendenverband (SDS) Leipzig. Gemeinsam ist beiden Bewegungen auch der starke Bezug auf die Friedliche Revolution. „Der Appell ‘Reiht euch ein!‘ soll den Geist von ’89 beschwören“, schrieb student! über die erste Legida-Demo am 12. Januar 2015. Die Demonstration am 07. November 2020 lief unter dem Titel „Geschichte gemeinsam wiederholen – Friedliche (R)evolution“.
Es gibt aber auch Unterschiede zwischen den Bewegungen. Besonders auffällig beim Lesen der Berichte von damals ist der starke Gegenprotest. Nicht nur waren die Gegendemonstrierenden zahlenmäßig weit überlegen, sogar die Universität sagte Lehrveranstaltungen ab, um Studierenden die Teilnahme am Gegenprotest zu ermöglichen. Auch im Vorfeld des 7. November veröffentlichten die Leipziger Wissenschaftseinrichtungen ein Statement, in dem sie sich gegen Fake News und Verschwörungsmythen aussprachen. „Viele Leute, die berechtigte Kritik an den Maßnahmen haben, wie etwa Gewerbetreibende in der Innenstadt, haben sich gegen Querdenken positioniert, zum Beispiel mit Bannern in ihren Geschäften“, sagt Vogt. Die Zahlenverhältnisse sahen aber ganz anders aus als 2015: Am 7. November standen zehntausenden Coronaleugner*innen nur einige hundert Gegendemonstrierende gegenüber, was aber natürlich auch daran liegt, dass es zu Zeiten von Legida keine Pandemie gab.
Die damals führenden Köpfe von Legida tauchen bei den Querdenken-Demonstrationen eher nur als Teilnehmer im Hintergrund auf. Beispielsweise war der Anwalt Arndt Hohnstädter, der laut Medienberichten Legida in Rechtsfragen beriet, im Mai auf einer Demo gegen die Corona-Schutzmaßnahmen und diskutierte dort mit Polizist*innen. Hohnstädter verteidigte auch bereits rechte Gewalttäter vor Gericht und war für die NPD tätig, wie unter anderem die Welt berichtet. Eine Woche später hielt der regelmäßige Legida-Teilnehmer Stephane Simone auf einer Anti-Corona-Kundgebung eine Rede.
Ansonsten sieht man wenig von denen, die 2015 in der ersten Reihe marschierten und auch die zentralen Figuren bei Querdenken seien „zum allergrößten Teil neue Gesichter“, sagt Paul Zschocke von Chronik.LE in einem Livestream der sächsischen Linksfraktion zum 7. November. „Auch inhaltliche Bezüge gibt es eher nur am Rande“, so Zschocke weiter. Diese zeigten sich beispielweise an Schildern mit der Behauptung, „Corona sei nur dazu da, die fortschreitende Islamisierung des Abendlands zu verdecken.“
Es kommen auch neue Personengruppen hinzu, die vorher auf solchen Demos nicht zu sehen waren. Zschocke sieht in den Protesten der Coronaleugner*innen „einen neuen Mobilisationszyklus der extrem Rechten“, der vor allem Milieus mit Bezug zu „alternativmedizinischen Praktiken und esoterischen Ritualen“ zum Protest gebracht habe. „Spätestens seit Beginn der 2010er Jahre mobilisiert die extreme Rechte nicht mehr mit historischen Bezügen und Geschichtsrelativierung“, erklärt Zschocke, „sondern arbeitet sich deutlich an aktuellen Umbrüchen in der Gesellschaft ab.“ Dies zeige sich bei Eurokrise und geschlechtersensibler Sprache genauso wie bei den Themen Migration und Corona.
Legida verschwand seinerzeit nach zwei Jahren wieder von der Bildfläche. Querdenken könnte ein ähnliches Schicksal ereilen. „Ich glaube nicht, dass Querdenken eine Bewegung ist, die wir in einem Jahr noch sehen werden“, sagt Politikwissenschaftler Robert Feustel im Livestream der Linksfraktion, „denn deren Revolutionsrhetorik rennt permanent gegen die Wand.“
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