Rechtsextreme Einstellungen gibt es auch in der Mitte der Gesellschaft
Die 20. Leipziger Autoritarismus-Studie hat erneut gezeigt, dass rechtsautoritäre Einstellungen in der deutschen Gesellschaft weit verbreitet sind.
Forscher*innen der Universität Leipzig haben für die 20. Leipziger Autoritarismus-Studie etwa 2.500 Menschen in ganz Deutschland zu rechtsautoritären Einstellungen befragt. Ihr zentrales Ergebnis lautet, wie auch in den letzten Jahren: Rechtsextremismus ist keineswegs nur an den Rändern der Gesellschaft zu finden.
Der Aussage „Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“, stimmen beispielsweise 38 Prozent mindestens teilweise zu. Und auch nationale Überlegenheitsgedanken sind weit verbreitet. So stimmen 32 Prozent mindestens teilweise der Behauptung zu, dass die Deutschen anderen Völkern eigentlich von Natur aus überlegen seien.
Besonders bemerkenswert finden die Autor*innen der Studie, dass den Fragen zur rechtsautoritären Einstellung durchweg signifikant mehr Ostdeutsche als Westdeutsche zustimmen. Das gilt auch für die Altersgruppe, die selbst gar nicht mehr in der DDR gelebt hat. So befürworten 15,7 Prozent der 14 bis 30-Jährigen in Ostdeutschland eine rechtsautoritäre Diktatur, im Westen sind es in derselben Altersgruppe nur 2,2 Prozent.
„Ich glaube, das was sich im Osten abspielt, hat viel mit der Nachwendegeneration zu tun“, versucht Elmar Brähler die Zahlen zu erklären. Er ist einer der Herausgeber der Studie und emeritierter Professor für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie an der Universität Leipzig. „Das DDR-System ist abgewickelt worden und dann wurden die Ostdeutschen auch noch mit dem alten, verrotteten System in Verbindung gebracht. Wer sich so als Bürger zweiter Klasse fühlt, lehnt auch eher die Demokratie ab.“
Die Studie wird bereits seit 2002 alle zwei Jahre durchgeführt, bis 2016 unter dem Namen Mitte-Studien. Dadurch konnten die Forscher auch die Entwicklung der Zahlen betrachten. Insgesamt ist die Verbreitung rechtsextremer Einstellungen seit 2002 zurückgegangen. Trotzdem betont Brähler: „Insbesondere die Ausländerfeindlichkeit hat weiterhin ein sehr hohes Niveau.“ So sind in der aktuellen Erhebung 28 Prozent der Ostdeutschen ausländerfeindlich eingestellt, das sind nur zwei Prozent weniger als 2002. In Westdeutschland dagegen sank die Zahl von 23 Prozent Ausländerfeindlichen im Jahr 2002 auf heute 14 Prozent. Außerdem hat sich in der langfristigen Betrachtung gezeigt, dass sich bei rechtsextrem eingestellten Menschen besonders extreme Einstellungen, wie der Antisemitismus, verfestigt haben. Die Polarisierung der Gesellschaft nimmt also zu, die Extremen werden immer extremer.
Ein besonderer Fokus der Studie lag dieses Mal auf Verschwörungstheorien. Da die Erhebung im Mai und Juni dieses Jahres durchgeführt wurde, konnten auch einige Aussagen zur Corona-Pandemie in den Fragebogen aufgenommen werden. „Unter der Pandemie kommt es zu einer Erhöhung der Verschwörungsmentalität. Die ist viel stärker ausgeprägt, als sie es noch in der letzten Erhebung war“, sagt Brähler. So stimmen etwa 33 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass die Corona-Krise so groß geredet wurde, damit einige wenige von ihr profitieren können.
Die Wissenschaftler*innen vermuten, dass solche Verschwörungstheorien eine Art Brückenfunktion haben: Menschen, die ansonsten ganz unterschiedliche Einstellungen haben, hängen ihnen an und kommen darüber zusammen. Diese Brückenfunktion der Verschwörungstheorien spielt Brähler zufolge zum Beispiel auch bei den Querdenker-Demos eine Rolle: „Das ist eine sehr bunte Mischung, die da auftaucht. Und das ist ein Gebräu, das ein großes Gefährdungspotential hat.“
Angesichts der Ergebnisse hat Brähler vor allem eine dringende Handlungsempfehlung an die Politik: „Partizipationsmöglichkeiten müssen gestärkt werden, in Betrieben, Schulen aber auch in der Politik.“ Wer Demokratie als gestaltbar erlebt, sei auch zufriedener mit ihr.
Titelfoto: Oleg Laptev / unsplash
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