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  • Vom Außenseiter zum Konsumenten

    Das jüngste Debakel um den Release von Cyberpunk 2077 zeigt, wie sehr sich die Gamingkultur in den letzten 20 Jahren verändert hat. Kolumnist Dennis zieht ein Resümee.

    Wisst ihr noch, wie das früher war, wenn man sich als Gamer geoutet hat? Im besten Falle war man ein latent sozialapathischer Außenseiter, der sich in seinem ungelüfteten Jugendzimmer von Fertigpizza ernährt und bis spät in die Nacht hinter einem flimmernden, hornhautfarbenen Röhrenmontior mit virtuellen, aus an einer Hand abzählbaren Polygonen bestehenden, Figuren kloppt. Gegenüber konservativen Fußballmuttis, Lehrern und CSU-Politikern war man indes ein potentieller Gewalttäter, der nur eine Sechs davon entfernt war, mit geladener Waffe eine Gesamtschule zu stürmen. Auch in meiner Schulzeit war das Thema und ich musste mich für mein Hobby rechtfertigen. Positiver Nebeneffekt: Seitdem hat sich bei mir eine kritische Grundhaltung gegenüber Politik und Medien etabliert. Es ist schließlich ein recht einprägsames Aha-Erlebnis, wenn man deren Vertreter live beim Lügen beziehungsweise der Wiedergabe falscher Fakten zuschauen kann.

    Heute gibt es keine Röhrenmonitore mehr, CSU-Politiker biedern sich mit mehr oder weniger gelungenen Outfits der Gamingcommunity an und der letzte Amoklauf an einer Schule ist elf Jahre her. Hinzu kommt der nicht unerhebliche Umstand, dass die Gaming-Branche weltweit 160 Milliarden Euro Umsatz vorweisen kann und damit längst Hollywood abgezogen hat. Wer heute zockt, ist kein Außenseiter mehr, sondern schwimmt im absoluten Mainstream mit. Das liegt nicht zuletzt auch an der Möglichkeit des Mobile-Gamings auf jedem Billo-Smartphone. Ein weiteres Argument für den kulturellen Durchmarsch ist, dass E-Sport, zum Beispiel in Südkorea, in den letzten Jahren ein Ding geworden ist, sodass man kaum mehr daran vorbeikommt. Gamer sind somit keine blassen Einsiedler mehr, sondern professionelle Sportler und Superstars, die in ausverkauften Megahallen League of Legends oder Starcraft um Preisgelder spielen, die jenseits von Gut und Böse sind. Bald muss das Internationale Olympische Komitee betteln, dass es im Vorprogramm eines E-Sport Events ihren „richtigen Sport“ zeigen darf.

    Ist doch super, oder? Naja, so halb. Wie immer wenn eine bestimmte Kulturform als sehr rentabel gilt, passiert es schnell, dass diese vom Kommerz korrumpiert wird. Das erkennt man vor allem daran, dass es heute weniger Triple-A-Titel als noch vor zehn Jahren gibt, die dafür aber einen wesentlich höheren Produktionswert und mehr Aufwand erfahren haben. Im Ausgleich boomt dafür der Indie-Markt, aus dem zum Beispiel Minecraft oder Among Us entsprungen sind, die en masse von 15-Jährigen mit Monster Energy-Infusion auf Twitch gestreamt werden.

    Und genau diese Entwicklung bringt eine Menge Schattenseiten mit sich. Das fängt in der Industrie selbst an. Überstunden, sogenannte Crunch, sind mittlerweile Standard und sorgen dafür, dass viele kreative Köpfe nach einem Projekt den Job schmeißen, weil sie weder Zeit für ihre Familien, noch Lebensenergie übrig haben. Der Spieler hingegen wird am Geldbeutel ausgebeutet. Mittlerweile bekommt man im besten Fall ein funktionierendes Spiel, das nicht mit einem 50 Gigabyte Day-One-Patch erst spielbar gemacht werden muss. Dafür sind kostenpflichtige Erweiterungen mittlerweile Standard. Von dem Lootboxen-Elend mal ganz abgesehen. Servicegame ist der Neologismus der Zeit und der Gamer das Melkvieh, das gerne bereit ist, für jeden Quatsch extra zu zahlen.

    Jüngst hat man es mit Cyberpunk 2077 dann aber endlich geschafft, den Bogen zu überspannen. Wenn man das ambitionierteste und heiß erwartete Spiel der letzten Jahre vor die Wand fährt, ist der Shitstorm entsprechend biblisch. Meine Laune war nach den drei Verschiebungen ohnehin schon eher in Richtung Keller abgewandert und dann wurde auch noch der miserable technische Zustand der Current-Gen Versionen verschwiegen und sich – wieder einmal – auf den Day-One-Patch verlassen. Doch das ging schief. Auch nach dem Herunterladen des Patches war das Spiel auf meiner Xbox nicht viel besser spielbar und Sony schmiss schließlich die Playstation-Version aus dem Onlineshop. Ein Novum bei solch einem Titel. Zudem droht eine Sammelklage der Investoren gegen das Entwicklerstudio CD Project Red, da der besagte Zustand verschwiegen worden sein soll.

    Das Spiel wurde übrigens trotz allem so oft verkauft, dass sich das Studio freuen konnte und die Klagen werden sicherlich auch nur bedingt Erfolg haben. Auch ich hatte eine sehr gute Unterhaltung, als es nach dem dritten Patch dann endlich stabil lief. Verlierer des Ganzen waren dennoch mal wieder wir Spieler.

    Aber dieses Geschehnis gibt Grund zu Hoffnung, denn es wird jetzt endlich auf breiter Ebene über die genannten Zustände debattiert und Entwickler beziehungsweise Publisher werden sich zukünftig dreimal überlegen, den Spielern unfertige Software vorzusetzen. Auch ich werde mir zukünftig überlegen, mir Spiele direkt am Releaseday zu kaufen. Für die Publisher mögen nur Zahlen und Verkäufe entscheidend sein, doch für die Spielerschaft geht es um nicht weniger als einen ganzen Kulturzweig.

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