Die Befreiung des Auenlandes
Der Auwald ist von Erderhitzung und Bebauung bedroht. Ein Leipziger Bündnis will ihn jetzt retten.
Der Auwald – der Name klingt verwunschen und erinnert an die Heimat der Hobbits aus „Der Herr der Ringe“. Namensgebend ist jedoch die Aue, ein Gebiet entlang von fließenden Gewässern. Carolin Seele-Dilbat, Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Spezielle Botanik und Funktionelle Biodiversität an der Universität Leipzig, erklärt, dass das Besondere an dieser Landschaftsform die Überflutungen durch Hochwasser sei. Der Wechsel zwischen Hoch- und Niedrigwasserphasen ist wichtig für die natürlichen Lebensbedingungen der Aue. Da die Überflutungen unterschiedlich weit reichen, haben sich verschiedene Vegetationszonen ausgeprägt. Sie bilden einen wichtigen Lebensraum für besonders angepasste Arten, die teilweise nur hier zu finden sind.
Aber auch andere wichtige Funktionen zur Erhaltung des Ökosystems übernimmt die Aue. Sie hält Sedimente und Nährstoffe zurück. Dadurch wird gesichert, dass nicht zu viele Nährstoffe in den Fluss gelangen und die Wasserqualität erhalten bleibt. Außerdem spielt das Grundwasser eine große Rolle. Bei Niedrigwasser ermöglicht die Aue die Abgabe von Grundwasser in den Fluss. Dies ist besonders im Zusammenhang mit dem Klima und den Hitzeperioden der letzten Jahre wichtig, damit der Fluss über genug Wasser verfügt.
Diese ökologischen Funktionen besitzen wie der natürliche Klimaschutz und der Nutzen des Auwalds als Naherholungsgebiet auch direkte Bedeutung für den Menschen, wie Philipp Steuer vom sächsischen Landesverband des Naturschutzbund Deutschland (Nabu) anmerkt. Um sie zu schützen, wurde von verschiedenen Akteur*innen aus Naturschutz, Umweltforschung und der Stadt Leipzig das Thesenpapier „Dynamik als Leitprinzip“ erstellt. Darin werden zehn Thesen erörtert, die über 70 Maßnahmen zur Auenrevitalisierung aufzeigen. Darüber muss nun im Sächsischen Staatsministerium für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft abgestimmt und konkrete Maßnahmen beschlossen werden.
Diese Vorschläge sind dringend nötig, da der Leipziger Auwald, der sich entlang der Weißen Elster, Pleiße und Luppe erstreckt, zunehmend vom Wasser abgeschnitten ist. „Der Wald trocknet buchstäblich aus, verliert seine charakteristischen Baumarten und deren Bewohner“, sagt Heiko Rudolf vom Bund für Umwelt und Naturschutz Sachsen und Mitverfasser des Thesenpapiers. Gründe dafür liegen vor allem im Bau der Neuen Luppe zum Hochwasserschutz in den 1930er Jahren, meint Seele-Dilbat. Dadurch werde die Aue kontinuierlich entwässert und ihr Grundwasserstand sinke. Um dem entgegenzuwirken, sei eine Revitalisierung der Flusslandschaft erforderlich, so Rudolf. Die jahreszeitlichen Schwankungen des Wasserangebotes müssten wieder in die Aue gelangen. Dafür müsse zum Beispiel die Luppe aufgehöht, Dämme zurückgebaut und ausgetrocknete Flussläufe wieder angebunden werden. Letzteres unterstütze zusätzlich den Abfluss und verhindere lange Stauzeiten, die für die Vegetation schädlich seien, meint Philipp Steuer. Dies wird bereits seit 2012 im Projekt Lebendige Luppe im Bereich der Luppe- und Bergaue umgesetzt. Das Projekt ist eine Kooperation unter anderem vom Nabu und den Städten Leipzig und Schkeuditz. Es zeigt, dass die Rettung des Auwaldes allein durch Umweltverbände nicht möglich ist. „Im Gegenteil“, sagt Steuer, „dafür ist eine breite Koalition aus verschiedensten Akteuren notwendig.“ Hilfreich sei auch Engagement von Bürger*innen und Vereinen, die beispielsweise Aufräumaktionen durchführen können.
Um langfristige Ziele zur Revitalisierung der Aue anzugehen, sind Entwicklungskonzepte vonnöten. Ein solches hat die Stadt für die Nordwestaue in Auftrag gegeben, so Heiko Rudolf. „Wenn ambitionierte Konzepte und regionalpolitischer Umsetzungswille vorhanden sind, können wesentliche Erfolge binnen zehn Jahren gelingen.“ Dies zeigen ähnliche Projekte beispielsweise an der Isar im Raum München. Laut Philipp Steuer ist es von Vorteil, dass die Aue kaum bebaut ist. Doch meint er auch, dass es bis zur Wiederherstellung der Aue bis 2050 dauern wird. Denn was sich in 100 Jahren durch bauliche Veränderungen verschlechtert habe, könne nicht in wenigen Jahren wieder wettgemacht werden.
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