Die Soko Linx ermittelt
Seit dem 1. Dezember 2019 ermittelt die Sonderkommission Linksextremismus zu linksextremen Straftaten in Leipzig. Nun soll sie sogar vergrößert werden. Aber wie erfolgreich war sie überhaupt?
Es ist ein gewohntes Bild geworden: Eine Polizeimeldung über Steinwürfe, ein angezündetes Auto oder ein Graffiti im Leipziger Süden – mit dem Nachsatz: „Die Soko Linx ermittelt.“ Die so abgekürzte Sonderkommission Linksextremismus ermittelt seit dem 1. Dezember 2019 zu linksmotivierter Kriminalität in Leipzig. Und sie war fleißig. 335 Ermittlungsverfahren hat die Soko Linx im ersten Halbjahr 2020 übernommen, Daten für das zweite liegen noch nicht vor. 255 der Verfahren haben die Ermittler*innen abgeschlossen, davon sind 235 laut Angaben des Innenministeriums linksmotivierter Kriminalität zuzuordnen. Aufgeklärt wurden nur 96. Viele große Zahlen, vor allem im Vergleich mit der für ganz Sachsen zuständigen Sonderkommission Rechtsextremismus (Soko Rex), die im gleichen Zeitraum nur 20 Ermittlungsverfahren übernahm und davon 15 abschloss – sechs davon aufgeklärte Fälle rechtsmotivierter Kriminalität. Wie kann das sein, wenn gleichzeitig im Freistaat Statistiken des Innenministeriums zufolge rechtsmotivierte Kriminalität doppelt so häufig vorkommt wie linksmotivierte?
Das sächsische Landeskriminalamt (LKA) erklärt die Diskrepanz damit, dass Propagandadelikte etwa 70 Prozent rechtsmotivierter Kriminalität ausmachen, und nicht vom LKA bearbeitet werden, dem die beiden Sonderkommissionen zugeordnet sind. Graffiti werden zu den Propagandadelikten gezählt, wenn sie verfassungsfeindliche Symbole beinhalten; wenn das nicht der Fall ist, zu Sachbeschädigung. Weil es wenige linke verfassungsfeindliche Symbole gibt, aber viele rechte, wird also ein rechtes Graffito nicht von der zuständigen Soko behandelt, ein linkes hingegen schon. Das trägt zum Überhang im Vergleich der beiden Sonderkommissionen zustande, denn etwa die Hälfte sowohl linker als auch rechter politisch motivierter Kriminalität bezieht sich auf Graffiti. Der Unterschied stelle allerdings keine Wertung oder Gewichtung dar, betont das LKA.
Im September kündigte der sächsische Innenminister Roland Wöller (CDU) an, die Soko Linx zu vergrößern. Die Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz (Linke) nennt dies „Bedienen der Extremismusdoktrin“, die auch als Hufeisentheorie bezeichnet wird und Links- und Rechtsextremismus als gleich gefährlich ansieht. Die zeige sich auch im Landtag: „Es ist nicht möglich, über Rechtsextremismus zu sprechen, ohne dass jemand von der CDU sagt: ‚Aber was ist denn mit den Linken in Connewitz?‘“ Die Soko Linx ist deswegen für sie nicht mehr als eine Vermarktungsstrategie, um hinter Polizeimeldungen „Die Soko Linx ermittelt“ schreiben und so einen Eindruck der Gleichheit linker und rechter Kriminalität herstellen zu können. Das Sächsische Innenministerium (SMI) weist den Vorwurf zurück. Die polizeiliche Schwerpunktsetzung erfolge ausschließlich auf Basis der Kriminalitätsbrennpunkte.
Dass an Köditz‘ Behauptung etwas dran sein könnte, zeigte jüngst die Leipziger Volkszeitung. Dort erschien am 15. Januar eine Meldung des Evangelischen Pressedienstes unter dem Titel „Mutmaßlich linksextremer Anschlag auf Kirche“. Das „mutmaßlich“ bezieht sich darauf, dass es ein Bekennerschreiben auf der Website Indymedia gegeben habe, und auf die Soko Linx, welche die Ermittlungen übernommen hat. Am selben Tag sprach die Bild-Zeitung mit dem Gründer der Seenotrettung Mission Lifeline über den Anschlag. Er sagte, die angeblich verantwortliche Kampagne Mondays For Moria sei in der linken Szene Leipzigs „völlig unbekannt“. Außerdem kann jede*r auf Indymedia Beiträge hochladen, wie das LKA bestätigt.
Bei Fällen von großem öffentlichen Interesse ist die Erfolgsquote der Soko Linx bislang eher klein. Für Aufsehen sorgte zum Beispiel die Verhaftung von zwei Männern, die im August 2019 zwei Brandanschläge verübt haben sollen. Die Festnahme verkaufte Innenminister Wöller als Erfolg der Soko Linx, bevor beide aufgrund dünner Beweislage wieder freigelassen werden mussten, wie die Taz berichtete. Die Soko Linx ermittelt auch zu den Gegendemonstrationen am 7. November, als Rechtsextreme und Coronaverharmloser*innen durch Polizeibarrikaden brachen. Zu den Gegendemonstrationen gibt es sogar einen offiziellen Fahndungsaufruf, nicht jedoch zur Querdenken-Demonstration. Warum die Soko Linx ermittelt, die Soko Rex jedoch nicht, erklärt das LKA mit der konkreten Aufgabenzuweisung der beiden Sonderkommissionen, zufolge derer die Soko Linx für alle Fälle linksmotivierter Kriminalität in Leipzig zuständig sei. Die Fälle, welche die Gründung der Soko Linx auslösten – ein Angriff auf eine Mitarbeiterin einer Immobilienfirma und ein Brandanschlag auf mehrere Baufahrzeuge –, bleiben derweil ebenfalls ungelöst.
Dass die Zuordnung von Ermittlungsverfahren in Phänomenbereiche politisch motivierter Kriminalität (PMK) – und damit auch in den Zuständigkeitsbereich der Soko Linx – in Teilen willkürlich wirkt, lässt sich an den Krawallen in der Silvesternacht 2019/20 beobachten. Alle Angriffe auf Polizeibeamt*innen werden als PMK links geführt, obwohl laut Informationen der Taz keine*r der im unmittelbaren Nachhinein Festgenommenen vorher mit linksmotivierten Straftaten aufgefallen war. Indessen ist die „Äußerung ‚Sieg Heil‘ in Gegenwart von Einsatzkräften“ keinem Phänomenbereich politisch motivierter Kriminalität zuzuordnen, wie aus der Antwort des Innenministeriums auf eine Kleine Anfrage der Landtagsabgeordneten Juliane Nagel (Linke) hervorgeht. Das ist sicherlich sinnvoll, weil auch Linke „Sieg Heil“ rufen können. Gerade deswegen verwundert jedoch die generelle Zuordnung fast aller anderen Straftaten in den Phänomenbereich linksmotivierter Kriminalität. Überhaupt tut sich Sachsen tendenziell schwer damit, rechte Gewalt auch als solche anzuerkennen. Der Freistaat erkennt laut Recherchen des Tagesspiegels zum Beispiel nur vier der mindestens sieben Todesopfer rechter Gewalt in Leipzig als solche an.
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