Rationalisierung der Identität
Leipziger Forscher*innen um die Politikwissenschaftlerin Rebecca Pates untersuchen mit „PoliLabs“ Ursachen und Eigenschaften von Nationalismus in Deutschland. Jetzt gibt es erste Ergebnisse.
Menschen sehnen sich nach Identifikation. Doch überhöht sich das Gefühl von Zugehörigkeit in Überlegenheitsfantasien, wird es gefährlich – insbesondere, wenn sich die Gemeinschaft mutmaßlichen Bedrohungen von Außen gegenübersieht. Mit den Ursachen und Eigenschaften von Nationalismus in Deutschland beschäftigt sich seit 2018 eine Forschungsgruppe von Politikwissenschaftler*innen der Universität Leipzig.
In Diskussionsrunden mit Bürger*innen verschiedener sozialer Hintergründe sollte laut Rebecca Pates, Professorin an der Universität Leipzig und Leiterin des Projekts „Fremde im eigenen Land?“, einer der Grundkonflikte unserer Gesellschaft überwunden werden: „Seit 2016 bemerken wir einen starken Anstieg von Nationalismus und Migrationsfeindlichkeit“, sagt Pates. Das sei aber nur für einen Teil der Bevölkerung richtig: „Im Grunde entwickelt sich dabei eine politische Konfliktlinie. Die eine Seite wird von der Gegenseite der Volksfeindlichkeit bezichtigt, die andere des Rassismus.“ Jene moralisierte Debatte müsse wieder einer konsensfähigen Streitkultur weichen.
Der moderne Nationalismus ist nicht erst im Zuge einer problematisierten Migrationspolitik zurückgekehrt. Wehende Reichskriegsflaggen auf Querdenken-Demonstrationen können nur als primitiver Höhepunkt eines banalen Nationalismus verstanden werden. Sei es das Konsumverhalten – Stichwort „Made in Germany“ – oder die Programmwahl am Sonntagabend. „Der Tatort ist auch etwas typisch Deutsches – wer schaut den schon in Frankreich?“, fragt Pates, die mit ihrer Arbeit die kognitiven Ordnungen einer Gesellschaft darlegen will: „Wir haben Ereignisse der Anrufung der Nation dokumentiert und die darin inbegriffene Performativität herausgearbeitet.“
Diese stetige Orientierung an nationalen Befindlichkeiten basiert auf Ausschlusskriterien, die Minderheiten nicht nur aus rassistischen Gründen diskriminieren. „Es steht die Frage im Mittelpunkt, wer berechtigt ist, vom Sozialstaat in Form von Zahlungen zu profitieren. Viele sprechen Migrant*innen entweder die Fähigkeit oder den Willen ab, ins Sozialsystem einzuzahlen. Dementsprechend hätten sie nicht den gleichen Anspruch auf Sozialleistungen wie Deutsche“, sagt Pates. Über Parteigrenzen hinweg gibt es daher Sympathien, entweder den Sozialstaat umzukrempeln oder Migration zu begrenzen, was Pates ärgert: „Ziel muss es sein, diesen Streit zu übersetzen, indem die nationalistische Schärfe herausgenommen wird.“
Dass man der kollektiven Verlustangst einer sich abgehängt fühlenden Arbeiterklasse, von der besonders die Rechtspopulist*innen der AfD profitieren, nicht durch neue Narrative – also Identifikationsmechanismen – begegnen kann, mussten auch die Forscher*innen feststellen: „Es bringt nichts, dem Menschen als homo narrans ständig neue Märchen zu erzählen. Es ist wichtig zu zeigen, dass die eigene Vorstellung von der Nation nur eine von vielen ist. Als Politikwissenschafter*innen müssen wir aber vor allem an strukturellen Symptomen ansetzen.“
Ein Ausblick auf bessere Zeiten? „Noch haben wir keine postnationalistische Zeit erreicht. Und wenn überhaupt – was kommt danach?“, fragt Pates und fügt hinzu: „Die Antwort auf Nationalismus sollten keine weiteren Ausschlussmechanismen sein.“
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