„Die Regierungen haben sich dramatisch vor Handlungen gedrückt“
Meteorologe Johannes Quaas arbeitet mit am IPCC Climate Report. Mit luhze hat er über seine Aufgaben im Erstellungsprozess wie auch über die Wichtigkeit des Berichts für die Regierungen gesprochen.
Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) ist ein Institut der Vereinten Nationen, in dessen Auftrag weltweit Wissenschaftler*innen den aktuellen Stand der Klimaforschung bewerten und zusammentragen. Der Meteorologe und Professor der Universität Leipzig Johannes Quaas arbeitet am sechsten Berichtszyklus des Klimareports mit, der voraussichtlich 2023 enden wird. Im Interview mit luhze-Redakteurin Julie-Madeline Simon hat er über den Entstehungsprozess und seine Aufgaben innerhalb des IPCC-Berichts gesprochen.
luhze: Wie sind Sie zu Ihrer ehrenamtlichen Stelle beim IPCC gekommen und seit wann arbeiten Sie dort mit?
Quaas: IPCC funktioniert so, dass es ein von Regierungen berufenes wissenschaftliches Gremium ist. Die Vorsitzenden des IPCC-Büros haben dazu aufgerufen seine Bereitschaft als federführende*r Autor*in zu erklären. Die deutsche Regierung trifft keine Vorauswahl. Wenn man seine Bereitschaft erklärt, wird man direkt an das Büro weitergeleitet. 2017 habe ich das getan und 2018 ist dann die Autor*innen-Liste bestimmt worden, auf der auch ich stand.
luhze: Der IPCC-Bericht wird von Wissenschaftler*innen aus der ganzen Welt zusammengestellt, die für ihre Gutachten nicht bezahlt werden. Warum machen Sie beim IPCC mit?
Wenn ich möchte, dass meine Forschung nützlich ist, dann ist es natürlich sinnvoll da beizutragen, wo die unmittelbare Entscheidungsgrundlage geschaffen wird. Außerdem dachte ich, dass ich viel Sinnvolles, Konstruktives zu sagen habe, das sich von dem unterscheidet, was andere beitragen können.
luhze: Für jeden Bericht werden neue Autor*innenteams zusammengestellt. Was bedeutet das für Sie persönlich und womit beschäftigen Sie sich innerhalb Ihrer Arbeit?
Die Arbeit ist im Grunde genommen eine redaktionelle Arbeit: Wir begutachten und bewerten Veröffentlichungen. Dabei sind wir Arbeitsgruppen zugeordnet. Das ist in meinem Fall die Arbeitsgruppe der physikalischen Grundlagen des Klimawandels. Innerhalb dieser Arbeitsgruppe gibt es dreizehn Kapitel, die thematisch geordnet sind. Ich arbeite am Kapitel zwei mit, in dem es um den beobachteten Klimawandel in der Vergangenheit geht. Wir sind sechzehn federführende Autor*innen, die nach Expertise, wie auch nach Gender und Herkunft ausgewählt wurden.
luhze: Wie funktioniert der Arbeitsprozess innerhalb Ihres Teams? Tauschen Sie sich regelmäßig mit anderen Wissenschaftler*innen aus und gibt es bestimmte Schritte, die Ihre Gutachten durchlaufen müssen?
Der gesamte Bericht hat eine gutdurchdachte und produktive Struktur, die am Anfang von wenigen Leuten konzipiert wird. Bei unserem ersten von vier Lead Author Meetings in China haben wir uns die Struktur unseres Kapitels überlegt und die Abschnitte verteilt. Meine Abschnitte habe ich anhand meiner Literaturkenntnis und Zuhilfenahme von Contributing Authors bearbeitet. Am Ende dieses Prozesses hat man einen Zero Order Draft, also einen ersten Entwurf. Der geht an alle Autor*innen aus meiner Arbeitsgruppe für ein internes Review. Danach wird das First Order Draft erstellt. Dieser geht in das öffentliche Review. Wer immer sich qualifiziert fühlt und das unter Publikationen belegen kann, darf seine Bereitschaft stellen, Gutachter*in zu sein unter Angabe seiner*ihrer Expertise. Diese bekommen exklusiven Zugang und können ihre Kommentare abgeben. Wir müssen als Lead Authors auf jeden dieser Kommentare eingehen und sinnvoll antworten. Das wird noch einmal von zwei unabhängigen Review Editors überprüft. Der Second Order Draft bekam dann im letzten Frühjahr wieder ein Experten Review. Diesmal konnten auch die Regierungen das Kapitel begutachten. Zum Beispiel habe ich Kommentare von ausgewählten Wissenschaftler*innen von den Regierungen von Irland oder China bekommen. Momentan befinden wir uns im Schritt des Final Government Draft, das begutachtet dann nur noch die Regierung und die IPCC-Kolleg*innen.
luhze: Der Bericht repräsentiert eine objektive und zusammenfassende Begutachtung. Wie hoch ist der Anteil der Regierungen, wenn ihre Begutachtung schon so eine wichtige Rolle während der Erstellung des Berichts spielen?
Auf den Bericht haben die Regierungen keinen Einfluss. Wenn von den Gutachter*innen Kommentare kamen, dann mussten wir diese beantworten. Das ist der normale Prozess, der den Bericht verbessert. Die Entscheidung über die letztendliche Formulierung in unserem Kapitel treffen ausschließlich wir sechzehn Lead Authors. Auf Basis des ganzen Berichts wird es eine Technical Summary geben von ungefähr 100 Seiten. Davon ist die Quintessenz die Summary for Policy Makers, die ungefähr zehn Seiten lang ist. Das ist das politikrelevante Dokument, das viel gelesen wird. Das wird detailliert abgestimmt mit den Regierungen. Der Inhalt kann aber grundsätzlich nicht verzerrt werden, sondern nur umformuliert.
luhze: Anfangs haben Sie sich für das erste Meeting in China getroffen. Momentan ist das Reisen kaum möglich. Wie beeinflusst die Corona-Pandemie Ihre internationale Zusammenarbeit?
Wir haben uns dreimal getroffen. Einmal in China, in Frankreich und in Kanada. Das vierte Treffen fand nicht mehr statt, das wäre in Chile gewesen. Grundsätzlich kann man der Klimawissenschaft die Reiserei und CO2-Emission durch die Fliegerei vorwerfen, aber die direkte Interaktion ist wichtig. Die Kommunikation über das Internet ist schwer, wenn man eine Gruppendynamik braucht, in der jede*r beiträgt. Ein großes Problem ist die Zeitverschiebung. Zwei unserer koordinierenden Lead Authors sind Europäer, dann haben wir aber noch Wissenschaftler*innen aus Amerika, Australien, Süd-Korea und China. Deshalb gibt es oft zwei Treffen: Eins für die westliche und eins für die östliche Hemisphäre.
luhze: Handeln die Regierungen anschließend auch ausreichend nach der veröffentlichten Summary for Policy Makers handeln?
Ganz offensichtlich haben sich die Regierungen dramatisch vor Handlungen gedrückt. Die Rahmenkonvention stammt von 1992. Der European Green Deal ist vor allen Dingen von Wähler*innen erzwungen wurden. Wenn bei der letzten Europaparlamentswahl nicht offensichtlich Klimathemen für sehr viele Bürger*innen den Ausschlag gegeben hätten, dann hätte sich die Politik nicht bewegt. Es ist ein Armutszeugnis für die Politik, die sich rational gibt und die Aufgabe hat, sich nach dem vorhersehbaren Klimawandel, wie in den Klimaberichten beschrieben, auszurichten. Sie sollte führen jetzt wird sie aber getrieben. Andererseits zeugt es von Stärke der Demokratie, dass die Leute selbst sehen, dass etwas mit ihrem Klima passiert und die substanziellen Wähler*innenzahlen kann keiner ignorieren.
luhze: Für wie wichtig halten Sie selbst den IPCC-Bericht?
Der IPCC-Bericht ist schon etwas Besonderes. Er ist die Quintessenz der wissenschaftlichen Entwicklung, die relevant für die Gesellschaft ist. Vieles, was wir in unseren Forschungsteam an Grundlagenforschung machen, richten wir danach aus, was wichtig für die Gesellschaft ist. Das bedeutet in der Praxis für uns, dass sie relevant für das Sprachrohr sein soll: das IPCC. Wir konzipieren unsere Forschungsthemen so, dass wir dazu beitragen, Aussagen weiterzutreiben durch Sachstandsberichte, die dann wiederrum die Grundlage für politische Entscheidungen sein können.
Titelfoto: Katharina Werneburg
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