„Leipzig kann, muss und darf eine selbstbewusste Metropole sein“
Der neue Direktor des Museums der bildenden Künste Stefan Weppelmann sprach mit luhze-Redakteur Martin Zielke über seinen Weg zur Kunst, die Bedeutung des MdbK und das Besondere an Leipzig.
Seit Januar 2021 ist Stefan Weppelmann der neue Direktor des Museum der bildenden Künste (MdbK). Zuvor arbeitete er im Kunsthistorischen Museum in Wien. Seit über 25 Jahren widmet er sich der Kulturarbeit und publizierte zur Kunst Italiens sowie der Renaissance. Nun will Weppelmann das Museum stärker mit den Hochschulen verbinden und der jungen Kunst in Leipzig mehr Spielräume bieten.
luhze: Sie haben an der Universität Münster Kunstgeschichte, Klassische Archäologie und Kommunikationswissenschaft studiert. Wie haben Sie Ihren Weg zur Kunst gefunden?
Weppelmann: Über den Kölner Dom. Als Kind hat mich dieses Bauwerk geflashed. Aber nicht aus religiösen Gründen, sondern wegen der schieren Wucht, mit der sich dieses Gebäude über die Innenstadt erhebt. Die ganze Instrumentierung, die Architektur, die Fenster, die Vielfarbigkeit, innen der Dreikönigsschrein. Ich war davon echt berührt. Aber was mich zum Studium der Kunstgeschichte geführt hat, war ein Erasmus-Jahr in Rom. Inmitten all dieser prägnanten, großen wie wichtigen Museen und Bauwerke habe ich verstanden, welch ungeheure Bedeutung das Künstlerische in unserem Leben haben kann. Mich interessiert, wie Kunst in Stadtbilder eingebettet ist, wie Städte teils geradezu um Kunst herum entstanden sind. Ich habe mein Studium mit 23 Jahren begonnen.
Sie haben viel Zeit im Ausland verbracht und unter anderem in Florenz und New York City gewirkt. Was ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?
In New York war ich kurz, in Florenz über fünf Jahre, sodass das eher im Gedächtnis geblieben ist. Ich war zu einer Zeit dort, als die Stadt noch nicht ihr eigenes Museum war und man mit dem Fahrrad frühmorgens auf dem Weg zur Universität an den Kirchen vorbeifahren konnte. Ich bin regelmäßig vom Rad gestiegen, um mir die Wandmalereien in den öffentlichen Gebäuden anzuschauen. Man konnte sich 20 Minuten auf den Boden setzen, um die Originale an deren Entstehungsorten zu spüren, Zwiesprache zu halten. Das geht heute nicht mehr so einfach. Die Kirchen, Rathäuser und Markthallen sind Museen geworden.
Und das ist erst in letzter Zeit passiert?
Ja, das ist vor allem ein Phänomen der letzten Jahre, wir alle sind dauernd unterwegs, wurden immer mobiler und haben eine enorme Nachfrage ausgelöst, die touristisch attraktive Orte geprägt hat. Das hat auch sein Gutes, keine Frage, denn Gäste tragen oft ganz entschieden zum Unterhalt von Kunst und Kultur bei. Aber gerade in den letzten Jahren haben wir auch die Nachteile kräftig gespürt, die ein Überfrequentieren ein und derselben Orte mitbringt. Ich blicke daher auch mit ein wenig Nostalgie zurück. Florenz wird in den letzten Monaten aber mehr als seltsam gewesen sein. Dort übernachten etwa 10 Millionen Menschen pro Jahr, zwei Drittel davon sind nicht aus Italien. Das war bis vor kurzem das, was „normal“ war.
Von Ihnen gibt es eine Reihe von Veröffentlichungen. Woher nehmen sie die Energie, neben ihrer beruflichen Tätigkeit auch zu forschen? Gehört beides einfach zusammen?
So ist es. Forschung ist vielleicht ein etwas großes Wort. Ich möchte mich mit Zusammenhängen beschäftigen. Kunstwerke sind nie zu ende. Die Möglichkeiten, weitere Facetten zu ergründen, sind nicht erschöpft, und ein klein wenig mehr zu verstehen, weil man „nachforscht“, ist ja etwas sehr Schönes. Und dann möchte ich es auch mitteilen. Mir ist wichtig, mit einiger Tiefe an den Inhalten dran zu sein. Energie ist dabei gar nicht so sehr nötig, es ist eher eine Zeitfrage.
Also nutzen Sie auch Ihre Freizeit dafür?
Naja, die Balance zwischen Arbeit und Freizeit sollte stimmen. Aber mein Beruf ist für mich auch ein Kraftfeld, wenn ich das so sagen darf, und von daher irgendwie immer mit dabei. Gerade im Studium, Sie wissen das ja selber, ist so ein Flow da, wenn man an einem Thema dran ist, dann ist das so spannend, dass auch zuhause noch drüber nachgedacht wird.
Was interessiert Sie an der Arbeit am Museum der Bildenden Künste?
Es ist ein dynamischer Ort mit einer sehr großen Medienvielfalt Skulptur, Malerei, Fotografie und graphische Künste. Hier kann ich mich einerseits mit inhaltlichen Fragen beschäftigen und andererseits Neues lernen, vor allem auch mit lebenden Künstlerinnen und Künstlern arbeiten. Am Museum an sich interessiert mich, dass es als Ort letztlich ganz konkrete Angebote machen muss für die Menschen in dieser Stadt. Beim MdbK ergeben sich eine Reihe von Chancen, angefangen von der Möglichkeit, sechs Jahrhunderte Kunstgeschichte zu durchmessen und Dinge miteinander zu verbinden, bis hin zu der sehr speziellen Architektur.
In einem Interview mit dem MDR sprachen Sie davon, sich um junge Kunst kümmern zu wollen. Gibt es dafür schon konkrete Pläne?
Wir werden versuchen, unser Ausstellungs- und Bildungsprogramm mit neuen Formaten zu hinterlegen. Das heißt zum Beispiel, Menschen, die in Leipzig als Künstlerinnen und Künstler wirken und ausgebildet werden, in diesem Haus ein Forum zu bieten. Dazu müssen wir auch auf Positionen schauen, die noch nicht fix sind, die experimentieren und damit erste Schritte machen. Da hat das Museum eine begleitende Rolle.
Derzeit gibt es Überlegungen der Bundesregierung, den Lockdown zu verschärfen und zu verlängern. Wie wird sich das auf die weitere Arbeit des Museums auswirken?
Ich denke, dass wir in Museen Wahrhaftigkeit und Gegenwärtigkeit, vielleicht auch ein wenig Selbsterfahrung, erleben können. Und auch, dass das gemeinschaftliche Erleben von Kunst wichtig ist. Sich mit Familie und Freunden, mit vielen anderen Menschen an originalen Kunstwerken zu erfreuen, Kunstwerke dabei auch als Kraftquellen zu erfahren, ist Grund für den Museumsbesuch. Wir werden uns daher konzentrieren, um gerade diesem Bedürfnis so stark wie möglich Rechnung zu tragen. Kunstwerke und ihr Publikum werden per se ihre Beweglichkeit nicht einbüßen, Menschen suchen und brauchen Perspektivwechsel und werden auch wieder unterwegs sein. Aber wir schauen auf eine Zeit, wo dieses weniger intensiv passieren wird, ganz einfach deshalb, weil die Pandemie nur langsam wieder in den Hintergrund treten wird. Die eigene Sammlung nun zu betonen, ist wichtiger. Kunstwerke in ihren Eigenheiten zu inszenieren, Museumsarbeit sichtbarer zu machen, das sind Ansätze, die wir künftig stärker verfolgen werden. Diese Krise ist schrecklich, aber sie hat den Fokus zurückgerichtet auf das lokal Wichtige, auf die Meisterwerke, die vor Ort sind. Und das ist am Ende eine Entwicklung, die nicht nur negativ ist.
Auch im Hinblick auf die aktuelle Situation um den Lockdown und die derzeitige Schließung des Museums: Hatten Sie vielleicht auch mal Zweifel an ihrer Entscheidung, den Posten des MdbK-Direktors zu übernehmen?
Es wäre schlecht, wenn ich das jetzt bejahen würde. Nein, ich bin total erfreut darüber, dass ich diese Möglichkeit bekommen habe, und möchte sie mit meiner ganzen Persönlichkeit ausfüllen. Wenn das gelingen sollte, ist das natürlich wunderbar, dann muss man auch entschlossen und entschieden sein. Zweifel gibt es absolut keine.
Was unterscheidet die Arbeit im MdbK von Ihrer vorherigen Tätigkeit?
Die Sammlung ist nicht abgeschlossen und sie ist aus der Stadtgesellschaft hervorgegangen. Sie adressiert kein explizit touristisches Publikum, sondern sie sollte für alle Menschen, die hier in Leipzig leben, ein Ort sein, zu dem man gern kommt. Die großen Häuser, etwa in Berlin oder Wien, empfangen viele auswärtige Gäste, erfüllen damit auch in hohem Maße repräsentative Aufgaben für ein Land. Nicht, dass dieses wundervolle Museum hier in Leipzig nicht repräsentativ wäre, im Gegenteil. Aber wir haben hier viel mehr Fokus auf die Kunst, die uns umgibt, die hier produziert wird; wir haben ein Bildungsprogramm, das Anschluss an aktuelle Themen bietet. Wir haben keine einseitige Deutungshoheit, sondern wir können hier mit den Besucherinnen und Besuchern stärker an der Idee des Museums selbst arbeiten. Das Publikum stärker befragen, von ihm stärker lernen. Das sind Punkte, die in den großen staatlichen Museumsverbünden, für die ich vorher gearbeitet habe, nicht so stark im Vordergrund stehen. Und in Leipzig habe ich sehr viel quirliges Leben.
Macht das für Sie den Reiz an Leipzig aus?
Es ist eine junge, wachsende, dynamische und vielfältige Stadt. Viele erfindungsreiche Menschen sind hierhergekommen, Stichworte wie Start-Up und Kreativität werden großgeschrieben. Leipzig ist gleichzeitig eine Stadt, die eine lange Geschichte hat, in der Musikgeschichte hat sie einen ganz großen Namen. Man muss natürlich die jüngere deutsche Geschichte gerade mit Blick auf Leipzig hervorheben. Das alles ist kombiniert mit einer vitalen, vielfältigen Kunstszene, die aber auch Traditionen besitzt, verwurzelt ist. Und dann gibt es diese in über 150 Jahren gewachsene Sammlung. Und klar, die Stadt ist einfach sehr lebenswert.
Auch wenn Leipzig kleiner als New York oder Florenz ist?
Klar ist es kleiner, aber das heißt ja nicht, dass es nicht auch spannend wäre. Leipzig kann, muss und darf eine selbstbewusste Metropole sein. Und das MdbK muss zu dieser Sicht natürlich maßgeblich beitragen.
Titelfoto: Renate Medwed, Wien
Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.