Die Sprache, die Stille und das Schweigen
Kolumnistin Naomi versucht herauszufinden, woran es liegt, dass sie ihre Gedanken so oft nicht ausspricht – oder nur in unzureichenden Worten.
Immer wieder wünsche ich mir in letzter Zeit, ich könnte meine Gedanken besser – oder manchmal überhaupt – artikulieren. Egal ob in der Redaktionssitzung, Seminardiskussion oder einfach nur den ewig langen Sprachnachrichten, in denen meine beste Freundin und ich uns erzählen, was uns gerade so durch den Kopf geht: immer wieder ertappe ich mich bei dem Gedanken, ich würde mich gerne so gut ausdrücken können wie diese oder jene Person. Das frustriert mich, weil ich eigentlich der Meinung bin, gut mit Worten umgehen zu können. Aber wenn ich sie mal brauche, fallen sie mir natürlich nicht ein.
Das Problem liegt aber gar nicht darin, die richtigen Worte nicht zu finden. Wenn ich das nicht könnte, wäre ich nicht Teil dieser Zeitung, würde nicht bei Poetry Slams auftreten und wahrscheinlich auch nicht Linguistik studieren.
Das Problem liegt auch nicht, zumindest nicht hauptsächlich, im fehlenden Mut. Ich bin nicht schüchtern, ich bin introvertiert, sage ich immer. Das heißt, dass ich gern in Gesellschaft bin, aber meine Energie oft dort lasse, statt welche daraus zu ziehen. Dass ich, vielleicht mehr als andere, manchmal Zeit brauche, um mich vor der Welt zu verstecken und wieder aufzuladen. Dass ich die Situation beobachte, mich langsam herantaste, bevor ich mich zu Wort melde. Aber oft verpasse ich den Moment, schaffe den Absprung nicht und bleibe kleben in meinem eigenen Schweigen.
Denn das Problem liegt, je nach Sichtweise, im Tempo der Welt, die zu schnell ist, oder in meinem Tempo, das zu langsam ist. Ich brauche mehr Zeit, als die Welt mir gibt, um die richtigen Worte zu finden oder auch, um überhaupt erst herauszufinden, was ich eigentlich denke. Bis ich festgestellt habe, was meine Meinung ist, ist das Gespräch meistens schon drei Ecken weiter.
Ich denke eben gerne gründlich über die Dinge nach, und eigentlich mag ich diese Eigenschaft auch an mir. „Erst denken, dann lenken“ ist etwas, das so vielen überhitzten Diskussionen guttun würde. Und dennoch lässt es mich oft unzufrieden aus Gesprächen gehen, weil ich weiß, dass ich eigentlich mehr hätte beitragen können, und dass die anderen wieder nur die Ruhige, Schüchterne sehen.
Das alles ist in Zeiten, in denen das Leben sich im Internet abspielt, noch schlimmer geworden. Aber gleichzeitig habe ich dadurch auch verstanden: Videos lassen sich wiederholen, Nachrichten bearbeiten. Wer A sagt, muss eben nicht B sagen. Ich darf auch meine Meinung ändern. Diese Erkenntnis hilft, ein bisschen öfter einfach draufloszureden. Zur Not muss ich eben einen Fehler eingestehen, mich entschuldigen, oder sagen, dass ich erstmal darüber nachdenken muss. Das gehört alles dazu, und es ist besser als still zu bleiben.
Und manchmal ist es auch gerade andersrum: Manchmal sage ich Dinge, die ich überhaupt nicht geplant hatte, einfach nur, weil es irgendwie passt, und dann bin ich ganz überrascht von mir selbst und im Endeffekt oft froh darüber. Zum Beispiel bin ich froh, dass ich diese Kolumne übernommen habe, obwohl ich eigentlich gerade keine Zeit dafür habe. Denn wenn ich sie geschrieben hätte, wenn ich „bereit“ dafür bin, hätte ich sie wahrscheinlich nie geschrieben.
Titelfoto: Pixabay
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