Straßenbäume gegen die gesellschaftliche Ungleichheit
Straßenbäume können Depressionen lindern und gesellschaftliche Ungleichheit in Bezug auf die mentale Gesundheit verringern. Das fanden die Psychologin Melissa Marselle und ihre Kolleg*innen heraus.
In den letzten Jahrzehnten ist die Bevölkerung der Städte enorm gewachsen. Weltweit wohnt mittlerweile jede*r Zweite in Städten. Allein in Leipzig wurden 2020 im Vergleich zum Vorjahr knapp 4.000 neue Einwohner*innen gezählt, Tendenz steigend. Das stellt besonders den Stadtbau vor große Herausforderungen. Es werden nicht nur mehr Wohnungen benötigt. Der Wohnraum muss auch lebenswert bleiben. Studien zeigen, dass Grünflächen in Städten den sozialen Zusammenhalt festigen, das Sicherheitsgefühl stärken und den Stress der Bewohner*innen verringern können.
Ein Forscherteam des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ), des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), der Universität Leipzig und der Friedrich-Schiller-Universität Jena untersuchte nun in Leipzig, ob Natur in der unmittelbaren Wohnumgebung Depressionen lindert. Dazu legten die Forscher*innen den Fokus auf Straßenbäume. Der Grund laut Melissa Marselle, Postdoktorandin am UFZ und iDiv: „Die meisten anderen Forschungen zu Natur und psychischer Gesundheit befassen sich mit der Natur im Allgemeinen. Diese Informationen sind nicht spezifisch genug, um politische Entscheidungen von Kommunalverwaltungen und Stadtplanern zu leiten. Stadtplaner müssen wissen, welche Arten von städtischer Natur für die psychische Gesundheit wichtig sind.“
In Leipzig gibt es rund 66.000 Straßenbäume. Dabei gibt es im vergleichsweise einkommensstarken Waldstraßenviertel rund 1.280 von ihnen, in der Südvorstadt sogar 1.500. Einkommensschwächere Gegenden, wie Volkmarsdorf und Neustadt-Neuschönefeld, kommen nur auf knapp 700 und 840 Straßenbäume. In diesem von der Studie unabhängigen Beispiel scheint es, als hätten sozioökonomisch stärkere Gruppen in Leipzig rund doppelt so viele Straßenbäume in ihrem Wohnviertel als sozioökonomisch schwächere Gruppen. Diesen Unterschied beobachten auch die Forscher*innen. „Wir fanden heraus, dass Straßenbäume in der Nähe des Wohnortes die Kluft zwischen Arm und Reich in Bezug auf die gesellschaftliche Ungleichheit der Gesundheit verringern können”, fasst Marselle zusammen. Dabei fokussierten sie sich allerdings nicht nur auf die Anzahl der Straßenbäume in einem Viertel, sondern besonders auf ihre Häufigkeit in räumlichen Abständen zum Wohnort einer Person. Diese bezeichnen sie als Straßenbaumdichte.
Können Straßenbäume wirklich gegen die gesellschaftliche Ungleichheit in Bezug auf Gesundheit wirken? Zumindest empfinden die Forscher*innen das als ihre wichtigste Erkenntnis: „Ein unbeabsichtigter täglicher Kontakt mit Straßenbäumen in der Nähe des Hauses verringert das Risiko einer Depression für Menschen mit sozioökonomisch niedrigerem Status um die Hälfte.“ Tatsächlich zeigen die Ergebnisse der Studie, dass eine größere Straßenbaumdichte die Wahrscheinlichkeit verringert, dass Menschen Antidepressiva verschrieben werden muss. Das ist vor allem deshalb interessant, da Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status anfälliger für Depressions-Risikofaktoren wie Stress sind. „Die Reduzierung dieser Risikofaktoren durch eine hohe Straßenbaumdichte in der Nähe des Wohnorts könnte zu weniger Verschreibungen führen“, interpretiert Marselle.
Dieser Effekt gilt allerdings nur für Personen mit niedrigem sozioökonomischem Status. Für Personen mit mittlerem und hohem sozioökonomischem Status ändere die Straßenbaumdichte die psychische Gesundheit nicht signifikant. Die Postdoktorandin vermutet: „Menschen aus sozioökonomisch starken Gruppen haben möglicherweise weniger Stressfaktoren in ihrem Leben oder mehr Möglichkeiten, mit diesen Stressfaktoren umzugehen, als Menschen aus sozioökonomisch schwachen Gruppen.“
Die Forschung von Marselle und ihren Kolleg*innen bezieht sich außerdem ausschließlich auf Fälle von Depression, die medizinisch mit Antidepressiva behandelt werden. Das sei ein objektives Maß für tatsächliche Depression: „Ohne Analyse kann ich nicht sagen, ob unsere Ergebnisse für Menschen mit Depressionssymptomen dieselben wären.“ Eine solche Analyse sei allerdings nicht unmöglich, so Marselle, Daten zu selbst berichteten depressiven Symptomen in Leipzig existieren.
Vor dem Hintergrund der Pandemie sei die Studie besonders wichtig. Zahlen aus England zeigen laut Marselle, dass im vergangenen Jahr so vielen Engländer*innen wie nie zuvor Antidepressiva verschrieben wurden. Mit dem Pflanzen von mehr Straßenbäumen könne sowohl die Belastung des Gesundheitssystems durch die Prävention von Depressionen verringert werden als auch der Klimawandel und der Verlust der biologischen Vielfalt angegangen werden.
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