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  • Ich bin ein Wossi!

    Auch dreißig Jahre nach dem Mauerfall sind die Unterschiede zwischen Ost und West noch deutlich spürbar. Kolumnistin Natalie resümiert über das Leben, das sie jeweils in Ost und West führte.

    Ein Wessi-Ossi, ein Wossi. So nannte ich mich schon als Kind und fand mich damit super-kreativ. Auch die Frage: „Woher kommst du?“ war damals wie heute für mich eine etwas längere Geschichte. Ich bin gebürtige Hamburgerin und habe einen kleinen Teil meiner Kindheit auch oben im Norden gelebt. Die Schul- und Jugendzeit verbrachte ich jedoch in Sachsen-Anhalt.

    Obwohl die Mauer weit vor meiner Geburt fiel, war der Unterschied zwischen Ost- und West irgendwie immer ein Thema bei mir. Mein Vater ist ein Wessi, meine Mutter ein Ossi, was mich zu der Überlegung brachte, dass es mich ohne den Mauerfall wahrscheinlich gar nicht gegeben hätte.

    Kolumnistin Natalie

    Kolumnistin Natalie ist sowohl im Westen, als auch im Osten aufgewachsen.

    Dennoch waren Osten und Westen für mich lange lediglich zwei entgegen gesetzte Richtungen und etwas, was ich aus dem eingestaubten Schulunterricht kannte. Ich hatte halt eine West-Familie und eine Ost-Familie: Immer zu den Sommerferien oder Weihnachten wurde der Ort gewechselt.

    Die Unterschiede, die sich zwangsläufig auftun zwischen beiden Regionen wurden mir aber tatsächlich erst im Erwachsenenalter bewusst, nachdem ich nochmal zwei Jahre in Hamburg gelebt hatte und dann nach Leipzig kam. Der Kontrast hätte nicht größer sein können.

    Ich fand es schwierig in Hamburg Anschluss zu finden und mir fiel oft auf, dass der Status, den man in der Gesellschaft vertritt, dort schon enorm wichtig ist. In Hamburg bleibt jeder gern für sich und in seinem Stadtteil. Geld wird lediglich verliehen, nie geschenkt.

    Im Osten dagegen wurde ich schneller akzeptiert. Ich hatte das Gefühl, dass hier niemand wirklich darauf schaut, was ich verdiene oder schon erreicht habe, sondern eher wer ich bin und was mich ausmacht. Beim Thema Geld wird gefragt: „Wie viel brauchst du?“ und nicht „Wann bekomme ich es wieder?“.

    Meiner persönlichen Erfahrung nach ist das Leben im Osten einfacher gehalten. Viele, die ich kenne, besitzen materiell nicht viel, verdienen nur einen Bruchteil eines West-Gehalts, aber dafür haben die meisten hier auch spannende Geschichten von früher zu erzählen.

    Nach dreißig Jahren erzählt meine Oma immer noch entrüstet, wie ihr am 9. November 1989 plötzlich alle Partygäste davonrannten, weil der Mauerfall die Sensation schlechthin war. Meine Mutter schwelgt in Erinnerungen wie einfach sie im Vergleich zu anderen ihren Trabi bekam, ohne lange Wartezeit. Und ich tausche mich mit meinem in der DDR geborenen Freund über den Kultfilm „Go Trabi, go!“ und das im Osten weit verbreiteten Lieblingsessen aus der Schulzeit  – Spirelli mit Tomatensoße und Jägerschnitzel – aus.

    Wegen solchen Erinnerungen und Anekdoten ist es oft so, dass ich mich den Ossis stärker verbunden fühle. Es ist mittlerweile ein Gefühl, das ich als Heimat bezeichnen würde. Wann immer ich den sächsischen oder brandenburgischen Dialekt höre, weiß ich, ich komme meinem Zuhause näher.

    Auf der anderen Seite möchte ich allerdings auch nicht vergessen, dass ich nicht nur von hier komme und meine Reise im Westen begann. Ich bin manchmal sogar recht froh, dass ich Erfahrungen in beiden Welten sammeln konnte, um jede auf ihre Weise schätzen zu können.

    Wobei mir aber eigentlich auch bewusst ist, dass es Unsinn ist nach so vielen Jahren überhaupt noch von einer Teilung zu sprechen. Wir sind schließlich vereint. Aber ich denke, manchmal sind die Mauern in unserem Kopf nicht so leicht niederzureißen wie die tatsächlich existenten. Es wird sicher noch viel Zeit brauchen bis wir aufhören von Westen und Osten zu reden, als ginge es um zwei Menschentypen. Denn letztendlich sind wir Menschen eines Landes.

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