Individualmobilität still rules
Zwischen Klimakrise und urbanem Vorherrschaftskampf ist einer stets der Buhmann – der Kraftwagen. Doch Individualmobilität ist kein Auslaufmodell, findet Kolumnist Dennis.
Sie sind groß, kosten viel Geld, befinden sich in jeder Großstadt und viele Menschen wünschen, sie würden verschwinden – doch genug von Finanzämtern. Reden wir lieber über Autos. Genau die Dinger, mit denen dich deine Eltern früher immer vor deine Montessorischule gekarrt haben, und über die du dich immer aufregst, wenn du mit deinem Hollandrad über die Jahnallee eierst.
Deutschland ist ein absolutes Autoland, der Industrieanteil am BIP beträgt um die 5 Prozent, es ist unser wichtigster Industriezweig und irgendwie möchte doch jedes Kind rund um den Erdball mal hinter dem Steuer eines Stuttgarter Edelschlittens sitzen. Doch nicht zuletzt im Angesicht der globalen Klimakrise steht das Auto im Kreuzfeuer – und das ist noch zurückhaltend ausgedrückt.
Wir könnten es eher als Kulturkampf sehen, der schon weit vor der allseits bekannten Klimabewegung Fahrt aufgenommen hat. Dieser Kulturkampf wird dabei aus einem wohlhabenden urbanen Milieu geführt, das in die notorische Fahrradhelm tragende Jack-Wolfskin-Jackenfraktion und privilegierte Millennials mit Stura-Erfahrung zerfällt. Der Grund liegt hierbei zunächst mal in den konkreten Lebensumständen. Wer in einer großen Stadt lebt, hat in der Regel kurze Wege, eine gute ÖPNV-Infrastruktur und kann mit seinem Rennrad in Ideallinie durch den Verkehr schneiden.
Wer jedoch eher aus dem ländlichen oder – wie ich – aus dem suburbanen Gebiet kommt und noch in der prä-Tesla-Zeit aufgewachsen ist, hat ein etwas anderes Verhältnis zum KFZ. Mal abgesehen von den Menschen, die auf ihr Auto zum Geldverdienen angewiesen sind. Ein Auto bedeutet für uns Mobilität, denn Busse gehen gerne früh schlafen.
Zudem ist das Auto klares Statussymbol und Ausdruck der Persönlichkeit, so wie dein Peugeot-Rennrad eben auch. Aufgewachsen mit The Fast and the Furious, Gran Turismo und Live-Übertragungen von DTM-Rennen, gehört Car Culture klar zur Identität und war Carl Benz materielles Ziel für viele Menschen.
Geht es indes nach der Fiktion der oben genannten postmodernen Müslifraktionen, erwartet uns eine Öko-Dystopie, in der du dich dicht an dicht gedrängt in der Tram anhusten lassen musst oder den Vintage-Kleiderschrank mit dem Lastenfahrrad abholen darfst.
Ich meine, okay, das kannst du ja auch jetzt schon tun, aber nicht jeder will eben an dieser Fiktion teilnehmen. Es gibt halt auch Leute, die bei der Fortbewegung ein Dach über dem Kopf haben wollen und gleichzeitig auf die Gegenwart anderer Menschen verzichten möchten. Doch in typisch deutscher Manier zwingt man eben gerne anderen den eigenen Lebensstil auf.
Und was ist mit den Menschen, die leidenschaftlich an ihrem Oldtimer basteln und ihn sonntags aus Ausgleich zu ihrem harten Job ausfahren? Was ist mit den JDM-Kids, die sich mitternachts mit Supra, 240SX oder NSX auf dem Wagen oder in den Serpentinen von Hakone treffen?
Tja der Umwelt ist das Tofu-Wurst – sammelt halt Briefmarken, wirst du dir jetzt denken, während du schon die dritte Avocado heute frisst. Der gesellschaftlichen Effizienzmaxime muss sich jeder unterordnen und wem das nicht passt, ist antisozial und Klimawandelleugner!
Doch das Leben ist etwas komplexer und verkehrstechnisch zurück ins 19. Jahrhundert zu gehen, ist jetzt auch nicht die Lösung. Der Wunsch das Auto zu verbannen, korreliert meistens mit dem Wunsch alles mit Bäumen zuzuschanzen und jede Fassade zu begrünen, sowie sich generell über die laute und dreckige Stadt zu beschweren. Dahinter steckt vermutlich unterbewusst der Wunsch wieder auf besagten Bäumen zu leben, sowie viel lieber irgendwo idyllisch auf dem Land zu wohnen, weil man dort einfach besser aufgehoben ist. Vielleicht ist die Stadt generell einfach nicht dein Ort zum Leben? Die Mieten sind ja sowieso viel zu hoch.
Auch die hochgehaltene E-Mobilität ist in gegenwärtiger Form eine Sackgasse. Die Energie kommt nämlich nicht nur aus der E-Zapfsäule, sondern aus, na? Genau, Kohlekraftwerken! Die Lithium-Akkus werden unter den gleichen erbärmlichen Bedingungen abgebaut wie die Rohstoffe für dein iPhone und die Feinstaubbelastung ist bei E-Autos ebenfalls höher.
Doch im Stil einer Planwirtschaft soll der Verbrenner langsam verschwinden, die Hersteller können sich ja gerne vernünftige Konzepte ausdenken. Wird schon werden. Der Staat schenkt uns ja auch eine dicke Prämie beim E-Autokauf. Elon Musk gefällt das.
Das Auto hat auch noch einen weiteren Vorteil, der gerne außer Acht gelassen wird. In einer immer schnelllebiger werdenden Gesellschaft, in der wir in Wohnmaschienen und Fünf-Personen-WGs leben, bietet es einen Rückzugsort der vollkommenen Abgeschiedenheit. Du kannst mal so richtig Laut die Musik aufdrehen, deinen ganzen Frust rausbrüllen und im Notfall auch mal darin schlafen, nachdem dich deine Freundin rausgeworfen hat, weil die mitgebrachte Zahnpasta nicht vegan war.
Doch wie sieht denn nun die Kompromisslösung aus? Ganz einfach – Koexistenz. Es muss möglich sein, sowohl mit dem Auto, der Tram, als auch mit dem Fahrrad sicher und bequem zu reisen. Dann lassen garantiert auch mehr Leute in den Städten das Auto stehen. Anreize und so. E-Mobilität ist ebenfalls gut, zum Beispiel können Busse, Versorgungsfahrzeuge oder Lieferdienste in Städten wunderbar mit Elektroautos durch den Verkehr flüstern. Genauso wie der elektrische Kleinwagen für kurze Strecken. Gleichzeitig muss es für längere Strecken effizientere Verbrenner mit nachhaltigeren Kraftstoffen geben und die Brennstoffzellentechnik sollte mehr gefördert werden.
Der reine Verdrängungskampf wird jedoch nicht funktionieren. Dafür ist die Autolobby zu mächtig und auch ein sicherer Wohlstandsgarant. BMW, Daimler und Volkswagen haben mit ihren Steuergeldern schon eine Menge Schulen finanziert. Und die Autofans rund um die Welt sind ebenfalls nicht bereit, in diesem Kulturkampf einfach so rechts ranzufahren.
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