„Diese Gesellschaft ist mit den Händen von Migrant*innen aufgebaut“
Im Interview haben wir mit zwei neuen Mitgliedern des Migrantenbeirats, Paweł Matusz und Neam Tarek, über Ungleichberechtigung und Herausforderungen für Migrant*innen in Leipzig gesprochen.
Im März wurde ein Teil des Leipziger Migrantenbeirats zum ersten Mal von der migrantischen Bevölkerung gewählt. luhze-Autorin Nina Pogrebnaya hat mit zwei neuen Mitgliedern, Paweł Matusz und Neam Tarek, über Ungleichberechtigung und Herausforderungen für Migrant*innen in Leipzig gesprochen. Dies ist das Interivew mit Paweł Matusz. Das zweite Interview findet ihr hier.
luhze: Warum haben Sie kandidiert?
Paweł Matusz: Ich bin politisch sehr aktiv, bin Mitglied der Linken und habe noch in Polen begonnen, mich zu engagieren. Da war alles viel komplizierter, da die linke Szene nicht so stark und nicht so radikal ist. Als ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich viele Soli-Demos mit dem Frauenstreik und der Queerbewegung in Polen gemacht. Ich habe das Gefühl, dass die Stimmen von Migrant*innen in Deutschland, in Leipzig sehr schwach sind. So habe ich verstanden, dass es notwendig ist, die Stadtstrukturen zu verändern. Fouad El Moutaouakkil, Fayad Alwakaa (andere Kandidaten der Arbeitsgruppe „United“ der Linkspartei, Anm. d. Red.) und ich haben entschieden, wir wollen mehr radikale, linke Sozialpolitik in diese Wahlen einbringen.
Seit wann leben Sie in Deutschland?
Ich bin aus verschiedenen Gründen 2016 nach Deutschland immigriert. Die Wichtigsten sind polnischer Kapitalismus und polnischer Nationalismus. Man spricht in Polen so wenig über den polnischen Antisemitismus, Rassismus, über Ausbeutung. Im Vergleich zu Polen ist das alles in Deutschland besser, aber die Tendenz ist der polnischen ähnlich, besonders in Ostdeutschland.
Was macht die Lage von Migrant*innen kompliziert?
Viele Arbeitgeber*innen nutzen die schwierigen Situationen von Leuten aus. Die Arbeiter*innen haben fast keine echten Rechte. Die Arbeitgeber*innen wissen, dass sie mehr Geld kriegen, wenn sie Migrant*innen annehmen, weil man ihnen viel weniger Geld bezahlen kann. Aber viele Migrant*innen arbeiten in solchen Bedingungen, denn die freuen sich schon über den Mindestlohn. Und guck mal, diese Gesellschaft ist mit den Händen von Migrant*innen aufgebaut: Wer betreut die Kinder? Wer baut Häuser? Wer ist Reinigungskraft in verschiedenen Fabriken? Es liegt nicht im Interesse der deutschen Wirtschaft. für die Lebensqualität von Migrant*innen zu sorgen. Eine Wirtschaft, auf die Deutschland so stolz ist.
Wie wollen Sie die Situation ändern?
Leipzig ist eine Transitstadt, in der vieles produziert wird. Da gibt es auch viele Arbeitsplätze, in denen sehr viele Migrant*innen ausgebeutet werden. Das ist ein besonderes Thema in meinem Programm. Die Arbeitgeber*innen müssen wissen, dass wir uns organisieren, dass wir einander unterstützen. Sie müssen Angst vor uns haben, sodass sie uns nicht ausbeuten. Ich habe mit vielen Leuten während der Vorwahlzeit über die Probleme auf dem Arbeitsmarkt geredet. Wir wollen uns jetzt zuerst verstärken und vernetzen. Ich habe die Entwicklung in diese Richtung aktiv begonnen.
Welche Probleme gibt es noch?
Das klingt banal, aber natürlich nenne ich Rassismus in verschiedenen Strukturen, nicht nur in der Polizei. Zum Beispiel sind die Formulare in vielen Ämtern nur auf Deutsch. Außerdem glauben manche deutsche Arbeitgeber*innen oder Beamt*innen nicht, dass Migrant*innen auch qualifiziert sein können. Das ist ein Doppelstandard und den müssen wir bekämpfen.
Ein weiteres Problem ist Gesundheit. Ich habe mich viel mit den Schwierigkeiten beschäftigt, die Frauen und die LGBTQI-Community haben. Ein sehr wichtiges davon ist der Zugang zu gesundheitlicher Unterstützung. Die muss nicht nur finanziell verfügbar sein, sondern auch qualitativ. Menschen, die geflüchtet oder immigriert sind, haben viel Stress, haben wahrscheinlich Angst davor, über die eigene Gesundheit zu sprechen. Damit müssen wir sie unterstützen, vor allem psychologisch.
Welche Erfahrungen haben Sie mit Integration gemacht?
Das ist nicht nur das Problem von Migrant*innen, sondern auch ein deutsches Problem. Die Gesellschaft wartet darauf, dass Ausländer*innen sofort beginnen, perfektes Deutsch zu sprechen und sich zu integrieren. Wo aber sind die Bedingungen dafür? Wo sind billige oder kostenlose Deutschkurse? Wo gibt es verschiedene Aktivitäten, die migrantischen Familien ein Sozialleben ermöglichen? Außerdem, um welche Integration geht es überhaupt? Um die Integration in eine Gesellschaft, die nicht ganz entnazifiziert ist? Die Gesellschaft fordert sehr viel von Migrant*innen, aber macht von eigener Seite fast nichts für sie.
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