Schritte aus der Komfortzone
Warum gehen so viele Menschen freiwillig joggen? Kolumnistin Julie verbindet damit vor allem die Tortur des Ausdauerlaufs in der Schule und will herausfinden, was Positives dahinterstecken könnte.
Wer joggen geht, hasst sich selbst. Das pflegt eine Freundin von mir zu sagen, wann auch immer wir jemanden laufen sehen. Auch ich muss zugeben, dass ich den Ausdauerlauf in der Schule als Tortur ansah. Jedes Jahr kam unsere Sportlehrerin auf den Gedanken, dass es wieder an der Zeit wäre, uns durch die Halle zu jagen, während sie den Job hatte, eine Viertelstunde lang auf die Stoppuhr zu schauen. Zudem verlängerte sie jedes Jahr die Zeit um ein paar Minuten – als ob sich unsere Ausdauer auf magische Weise mit dem Älterwerden verbessern würde und nicht mit entsprechendem Training.
Diese Sportstunden habe ich zum Glück hinter mir gelassen. Weder vermisse ich das Brennen im Hals noch das Seitenstechen, während man sich zwingt, einen Schritt vor den nächsten zu setzen. Kein einziges Mal war ich seitdem mehr laufen. Dennoch lässt mich das Thema nicht los.
In einer Großstadt wie Leipzig vergeht kaum ein Tag, an dem ich keine Person mit reflektierenden Sportklamotten und Pulsuhr sehe, die mir schon von weitem wie ein Glühwürmchen entgegenleuchtet. Dabei wirken sie unaufhaltsam. Ihr höchstes Anliegen scheint es zu sein, niemals stehen zu bleiben. Sie fliegen an allem und jedem*jeder vorbei und lediglich eine rote Ampel kann sie für ein paar Sekunden verlangsamen. Was hat es also mit dem Joggen auf sich? Es ist mir unbegreiflich, warum so viele Menschen joggen gehen, wenn ich dabei nur an mein rotes Gesicht denken kann. Vielleicht will ich es gerade deshalb verstehen können. Ich will mit Joggen auch endlich etwas Positives verbinden.
Joggen zu gehen ist ein großer Schritt aus meiner Komfortzone heraus, die sich daran gewöhnt hat, den Tag zu Hause am Schreibtisch zu verbringen. Deshalb verabrede ich mich mit einem Freund, der ein erfahrenerer Läufer ist als ich, für den nächsten Tag. Und mit Tag, meine ich Morgen. Genauer gesagt um 7 Uhr zum Sonnenaufgang. So können gleich zwei Kontrollfaktoren ineinandergreifen, damit ich die Sache auch wirklich durchziehe. Erstens muss ich aufstehen, da jemand auf mich wartet und zweitens kann ich es gleich als erste Tat des Tages hinter mich bringen.
Das Aufstehen erweist sich schließlich nicht als Problem, da ich generell eher ein Morgenmensch bin. Auch die ersten paar Minuten des Laufens fühlen sich gut an. Doch dieses Gefühl schwindet schnell bei dem ersten Hügel, den wir bergauf joggen. Als wir bei der Hälfte des Weges eine Pause machen, versuche ich zu argumentieren, dass das jetzt bestimmt schon fünf Kilometer sind, während mein Gegenüber behauptet, dass wir gerade mal zwei Kilometer geschafft haben.
Vier Kilometer später, ich muss meinem Freund schließlich rechtgeben, beenden wir die Laufeinheit wie erwartet mit roten Gesichtern und keuchendem Atem.
Auch, wenn ich mich während des Laufes wiederholt frage, warum ich mir das eigentlich gerade antue und mich auch ein kleines bisschen dafür hasse, machen sich doch noch positive Effekte bemerkbar. Nein, damit meine ich nicht den Muskelkater, der mich danach quält. Es ist der Tag, der direkt nach dem Joggen anbricht. Mit einem wachen Körper und klaren Geist, verbringe ich die produktivste Zeit seit langem. Den ganzen Tag lang trage ich ein Lächeln auf den Lippen, weil ich stolz auf mich bin, den Schritt aus meiner Komfortzone gewagt zu haben.
Meine Gefühle dem Joggen gegenüber bleiben damit gemischt, da das Laufen an sich, mir nicht besonders viel Spaß macht, ich mich dennoch danach viel besser fühle. Mit regelmäßigerem Training könnte sich das bestimmt verbessern. Meinen Morgen auf eine besondere Weise zu beginnen, hat meinen Tag auf jeden Fall positiv beeinflusst, was ich gerne beibehalten möchte. Ob das jedoch durch Jogging oder doch lieber Yoga machen passiert, wird sich zeigen.
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