„Das Fahrrad ist unschlagbar“
Christoph Waack ist Radverkehrsbeauftragter im Verkehrs- und Tiefbauamt der Stadt Leipzig. Im Interview spricht er über lange Behörden- und grüne Radwege.
Seit August 2018 arbeitet Christoph Waack als Radverkehrsbeauftragter im Verkehrs- und Tiefbauamt der Stadt Leipzig. luhze-Redakteur Franz Hempel hat mit ihm über die Zukunft des Fahrradfahrens in Leipzig gesprochen.
luhze: Ist es Ihre Aufgabe, gegen den Normalstatus Auto anzukämpfen?
Waack: Der Begriff „Kämpfen“ ist unangemessen. Es handelt sich um ein Ringen oder Abwägen. Die Bewohner unserer Stadt haben verschiedene Mobilitätsbedürfnisse. Im Herbst 2018 hat der Stadtrat einstimmig die Mobilitätsstrategie 2030 beschlossen mit dem Fokus auf der Förderung nachhaltiger Mobilität. Zugegeben, der Begriff Nachhaltigkeit ist in verschiedenste Richtungen dehnbar. Aber ich gehe davon aus, dass die ressourcensparendsten Verkehrsmittel angestrebt werden. Und weder vom Parkraum noch von den Emissionen gehört das Auto dazu. Formen nachhaltiger Mobilität – wie Fußverkehr, Radverkehr und ÖPNV – müssen gestärkt werden.
Wie sieht Ihre Beteiligung in Fragen der Verkehrsplanung im Verkehrs- und Tiefbauamt aus?
Einerseits gibt es eine Liste möglicher Radverkehrsanlagen, die nicht immer straßenbegleitend sein müssen, bei deren Priorisierung ich mitwirke. Und dann gibt es komplexe Baumaßnahmen. Da wird ein Straßenabschnitt komplett quer von Haus zu Haus neu gebaut und vorher eben geplant. Das haben wir zum Beispiel vor kurzem in der Bornaischen Straße gehabt. Bei einer komplexen Planung müssen alle Fachkompetenzen aus den verschiedenen Ämtern in einer Anlaufberatung zusammengetragen werden. Dabei kommen auch die Belange des Radverkehrs zu Gehör. Im Anschluss muss die Planungsabteilung die verschiedenen Belange gegeneinander abwägen.
Welchen Stellenwert haben dabei die Belange des Radverkehrs?
Grundsätzlich einen immer höheren. Ich habe zwar kein Vetorecht. Das hat in einem solchen Prozess der Abwägung keiner. Aber ich kann mit guten Argumenten für meine Positionen werben.
Sie sind seit drei Jahren Radverkehrsbeauftragter. Haben Sie den Eindruck, dass Sie etwas bewirken können?
Ja, und zwar dadurch, dass die beiden schwächsten Verkehrsarten mit mir und meinem Kollegen, dem Fußverkehrsverantwortlichen Friedemann Goerl, in Planungsprozessen vertreten sind. Es gibt Verbände, die monieren, dass es für ihre Interessen keinen Autoverkehrsbeauftragten gibt. Ich sehe in dem Umstand eine Stärkung der nachhaltigen Mobilität in Leipzig.
Empfinden Sie die Forderung nach einem Autoverkehrsbeauftragten als gerechtfertigt?
Nein, das passt nicht mehr in unsere Zeit.
Welchen Beitrag kann das Fahrrad als Bestandteil eines klimafreundlichen Lebensstils leisten?
Der Radverkehr kann einen hohen Anteil der nachhaltigen Mobilität abdecken. Schon jetzt entfallen in Leipzig knapp über 20 Prozent der täglich zurückgelegten Wege aufs Fahrrad. Gerade auf geringerer und mittlerer Distanz ist das Fahrrad unschlagbar, was Zeitaufwand, Kosten, den Umweltaspekt und die positiven gesundheitlichen Wirkungen, die Radfahren mit sich bringt, betrifft. Radfahren hat einen großen Nutzen für die Stadtgesellschaft. Letztes Jahr, während der Pandemie, sind die Verkaufszahlen für Fahrräder nochmal deutlich gestiegen. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Räder nicht im Keller bleiben, sondern täglich das Stadtbild bereichern werden.
Leipzig stellt sich gerne als zukunftsorientierte, nachhaltige Fahrradstadt dar. Wie passt das damit zusammen, dass die Nutzung des Promenadenrings für Räder gerichtlich von Engagierten erstritten werden musste und die Stadt das Verbot nicht selbst aufhob?
Wir haben auf dem Promenadenring einen sehr dichten Autoverkehr, bisher lag die Priorität darauf, den abzuwickeln und dabei Staus möglichst zu vermeiden. Parallel zum westlichen Innenstadtring gibt es ein Fahrradstraßenangebot. Aufgrund divergierender Nutzeransprüche gelang es nicht an allen Stellen des Promenadenrings, das zu verwirklichen. Zum Beispiel haben wir da die vielen Fußgänger im Bereich der Moritzbastei. Die Stadtverwaltung arbeitet daran, dem Gerichtsbeschluss Folge zu leisten und den Promenadenring Stück für Stück für den Radverkehr herzurichten.
Ende April wurde ein Radstreifen auf dem Dittrichring aufgebracht, der im Anschluss noch grün gefärbt werden soll. Warum die Einfärbung?
Die Radverkehrsanlagen des Promenadenrings werden im Farbton Verkehrsgrün eingefärbt, um sie hervorzuheben. Diese zusätzliche Aufmerksamkeit halten wir aufgrund des hohen Autoverkehrsaufkommens an diesen Stellen für notwendig.
Wann wird das Radfahrverbot auf dem Promenadenring gänzlich aufgehoben sein? Können Sie ein Jahr nennen?
Das soll schnellstmöglich geschehen. Sofern die Randbedingungen, auf die das Verkehrs- und Tiefbauamt nur geringen Einfluss hat, dazu passen.
Die Frequenz der Fahrraddiebstähle in Leipzig ist legendär. Wo sehen Sie die Probleme? Und was können Sie tun?
Ich kann nur vermuten, dass die Beschaffungskriminalität eine große Rolle spielt. In der Drogen-Präventionsarbeit könnte noch Potenzial liegen. Das fällt aber nicht in meine Zuständigkeit. Seit mehreren Jahren verharrt die Zahl der geklauten Fahrräder auf einem sehr hohen Niveau. Das ist ein großes Problem. Wir haben zwar inzwischen 12.000 Fahrradbügel in Leipzig aufgestellt. Dadurch können 24.000 Räder angeschlossen werden. Es ist sehr wichtig, die Fahrräder nicht nur in sich abzuschließen, sondern zum Beispiel an einem Bügel anzuschließen.
Es stimmt, dass am Hauptbahnhof noch Handlungsbedarf besteht, eine gute Fahrradstation bereitzustellen. Da sind wir dran. Es handelt sich aber um Gelände der Deutschen Bahn. Mit der sind wir in Verhandlungen, um eine mittelfristige Lösung zu erzielen. Unser Ziel ist es erstmal, 300 Stellplätze mehr bereitzustellen. Trotzdem streben wir eine noch größere Fahrradservicestation am Hauptbahnhof in den nächsten Jahren an.
Interessenvertretungen nehmen Einfluss auf Ihre Arbeit. Sind die Industrie- und Handelskammer (IHK) sowie der ADAC einflussreicher als fahrradfreundliche Verbände im Bereich der Verkehrsplanung?
Es gibt eine ämterübergreifende Institution in der Stadtverwaltung: die Arbeitsgemeinschaft Radverkehrsförderung, genannt AG Rad. Seit mehr als 30 Jahren treffen sich in diesem Gremium regelmäßig Vertreter des ADFC und der Polizeidirektion mit Vertretern aus den verschiedenen städtischen Ämtern. Das ist eine sehr fruchtbare und interessante Runde, aus der man als Planer gute Hinweise mitnehmen kann.
Dann hat der ADFC gegenüber dem ADAC einen Vorteil in Leipzig?
Ich kann nicht bewerten, was die Verbände IHK und ADAC so tun. Ich kenne ja nur die Arbeit des ADFC Leipzig, dessen Vorsitzender ich vier Jahre war, bevor ich Radverkehrsbeauftragter der Stadt wurde. Schon dass solch ein Wechsel möglich ist, sagt etwas aus. Einmal im Jahr lädt die Stadtverwaltung zudem zum Runden Tisch Radverkehr. Dort sind auch IHK und ADAC eingeladen. Sie nehmen jedes Mal rege teil und tun ihre Interessen kund.
Wie würden Sie Ihren persönlichen Fahrradfahrstil beschreiben?
Es ist wichtig, dass man neben seinen Pflichten auch seine Rechte aus der Straßenverkehrsordnung kennt und versucht, sie gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern deutlich zu machen. Aber gleichzeitig muss man mit den Fehlern anderer rechnen.
Ich habe eine relativ robuste Fahrweise auf dem Rad, die auch etwas Mut erfordert. Da ich aber weiß, dass Radfahren von zehn bis 90 Jahren auf der Straße möglich sein muss, darf ich bei Planungsprozessen nicht nur von meiner eigenen Fahrweise ausgehen. Meine Prämisse als Radverkehrsplaner ist die Frage: Würde ich mein zehnjähriges Kind auf dieser Radverkehrsanlage fahren lassen? Davon muss ich ausgehen, da ab zehn Jahren der Fußweg mit dem Rad nicht mehr befahren werden darf. Noch nicht überall in Leipzig ist es bisher gelungen, diesem Anspruch zu genügen. Aber da müssen wir hinkommen, wenn möglichst viele Menschen freiwillig aufs Fahrrad wechseln sollen. So können wir die Verkehrswende in Leipzig gestalten.
Halten Sie sich an alle Verkehrsregeln, wenn Sie mit dem Fahrrad fahren?
Natürlich, das muss ich ja wohl.
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