„Mehr Respekt von der Gesellschaft“
Wie hat die Pandemie Forschung beeinflusst? Eine Politologin, ein Biochemiker und eine Ethnologin geben Einblicke in ihre Arbeit im vergangenen Jahr.
Drei Leipziger Forscher*innen: Rebecca Pates, Professorin für Politologie; Thorsten Schöneberg, Leiter des Institutes für Molekulare Biochemie, und Ursula Rao, ehemalige Leiterin des Instituts für Ethnologie der Uni Leipzig. Zur Frage, wie ihre Forschung durch die Pandemie beeinflusst wurde, war luhze-Autorin Adefunmi Olanigan mit ihnen im Gespräch.
Rebecca Pates
„Wir untersuchen, wie sich Vorstellungen der deutschen Nation im Zuge der Migration 2015/2016 verändern. Zu den Fragen „Was ist deutsch?“ und „Kann man deutsch werden?“ haben wir schon 2018 150 Gruppendiskussionen geführt. Ein großes Glück, dass die Erhebungsphase vor der Pandemie vorbei war. Mit den Ergebnissen leisten wir politische Bildungsarbeit. 2020 hätten die Ergebnisse in großen, politischen Laboratorien öffentlich diskutiert werden sollen, das konnte nur in abgespeckter Form und online stattfinden. Corona bildet weniger ein Problem für die quantitative, sondern für die qualitative Forschung, da faceto-face-Interviews schwierig werden. Man kann auf Dokumentenanalyse oder die Analyse von online Interaktionen ausweichen, dafür müssen aber Forschungsfragen angepasst werden. Ein ganzer Forschungszweig steht vor Neuerungen. Das wird langfristige Folgen haben, die junge Generation an Forscher*innen wird einiges etwas anders machen als ihre Vorgänger*innen. Es ist ein Innovationsschub durch Zwangsmodernisierung.“
Thorsten Schöneberg
„Die Arbeitsgruppen meines Instituts beschäftigen sich mit Prozessen der zellulären Signalweiterleitung und genetischen Analysen im Rahmen der Evolutionsbiologie. Corona hat unsere Arbeit zu Beginn vor allem darin beeinflusst, dass viele unserer Kapazitäten verschoben wurden. Technische und wissenschaftliche Mitarbeiter wurden für die Diagnostik in der Virologie tätig und die Mediziner auf Covidstationen und Impfzentren. Das fehlende Personal und Hygieneschutzmaßnahmen erschwerten auch Praktika und Abschlussarbeiten für Studierende. Ich sehe keinen langfristigen Einfluss der Pandemie auf die Forschung. Trends gab es schon immer in der Wissenschaft, Covidforschung ist auch nur einer. Verstärkt wurde die Internationalisierung von Forschenden durch einen Schub der Digitalisierung. Dadurch werden mehr Ressourcen geteilt. Eine wachsende Zahl an Forschern nutzen zudem öffentliche, sogenannte Preprint Server, um ihr Feld, vor allem in Bezug auf Covid, zu markieren. Im Gegensatz zu begutachteter Forschung gibt es zwar weniger Hürden bei der Publizierung auf Preprint Servern, aber Methodik und Ergebnisse werden nicht vorab von Kollegen geprüft. Deshalb sollte publizierte Forschung, die ordentlich begutachtet wurde, immer höher gewertet bleiben.“
Ursula Rao
„Die Ethnologie betrachtet die Erlebnisperspektive von Sozialteilnehmern und wie deren praktisches Handeln Gesellschaft formt. Dafür sind weniger Statistiken relevant, sondern das Eintauchen in Praxiswelten. Viele Mitarbeiter arbeiten außerhalb Europas. Corona birgt dabei zweierlei Probleme. Reisen ist aktuell schwierig, ebenso das Erleben von anderen Lebenswelten. Selbst Forscher im Feld müssen viel digital arbeiten. Statt Beobachtungen werden mehr Gespräche geführt und Forschende selbst werden zum Interaktionspartner. Innerhalb der Wissenschaftsgemeinde förderten digitale Dialoge aber langfristig die Inklusion verschiedener Perspektiven über Ländergrenzen hinweg. Neue Methoden verändern Ergebnisse und Forschungsdesign. Dadurch werden in Zukunft Vor- und Nachteile herkömmlicher Methoden neu evaluiert werden. Corona zeigt auf extreme Art, dass alles ständiger Veränderung unterliegt und welche konservativen Kräfte gesellschaftlich verankert bleiben. Das ist auch ein Aspekt unserer Forschung. Die Krise zeigte, wie wichtig breitgefächertes Erforschen und Sammeln von Wissen ist. Dies zeigt sich aktuell in mehr Respekt von der Gesellschaft für Wissensarbeit.“
Titelfotos: Privat, Universität Leipzig, Max-Planck-Institut Halle
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