Wo kommst du her?
Die Frage nach der Herkunft kann ein heikles Thema sein. Kolumnistin Sanja hat trotz aller Umstände gerne Wurzeln in zwei verschiedenen Ländern.
„Wo kommst du jetzt eigentlich her?“ fragt mich der Vater eines Freundes, während ich meine triefende Regenjacke am Kleiderständer aufhänge. „Von der Arbeit“, antworte ich, die Schwere der Teller und Tablette noch in den Armen spürend. „Nein, ich meine ursprünglich.“
Die Frage nach meiner Herkunft hat mich eigentlich nie gestört. Ich wusste, dass sie früher oder später gestellt wird und dass mein*e Gesprächspartner*in auf meine Antwort mit einem anerkennenden ohh oder ahh antworten wird. Vielleicht hat es mich deshalb nie gestört. Auf die Antwort „Bali, Indonesien“ bekommt man schließlich ganz andere Resonanzen als auf „Syrien“. Die Ereignisse des vergangenen Frühjahrs haben meine Sicht darauf verändert. Rassismus war plötzlich ein Thema fernab des Geschichtsunterrichts und ich habe auf einmal über meine Herkunft nachgedacht. Ich habe es plötzlich anders wahrgenommen, wenn die tückische Frage kam. Ich bin durch die Straßen meiner doch recht migrationsreichen Heimatsstadt Frankfurt gelaufen und habe gemerkt, dass ich anders aussehe als die Biodeutschen. Ich habe mich anders gefühlt und hatte das Gefühl, dass auch alle anderen mich anders wahrnehmen. Und diese Erkenntnis hat mich nachhaltig verwirrt. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass die Rassismus-Debatten mir mehr schaden als helfen. Das Thema war nun omnipräsent in meinem Hinterkopf und ich wurde das Gefühl nicht los, dass erst durch diese konstante Hinterfragung die wirkliche Trennung zwischen weißen und nicht-weißen Menschen entstand. Inzwischen denke ich, dass nicht erst die Auseinandersetzung mit dem Rassismus zu dieser Spaltung führt, sondern dass diese Spaltung schon durch den Rassismus geschaffen wird und sich subtil bis weniger subtil durch die Gesellschaft zieht. Meine Verwirrung und meinen Trotz lege ich als Wachstumsschmerzen ab.
Nun scheint es überraschend, dass ich als Person of Colour mir meiner Hautfarbe nie bewusst war und ich deute dies auch als Zeichen eines Privilegs. Ich habe einen sehr deutschklingenden Nachnamen, bin in einer akademischen, gutbürgerlichen Familie großgeworden und bin aufs Gymnasium gegangen. Auch werde ich im globalen Süden dann doch meist eher als Weiße eingeordnet. In Indonesien beispielsweise werde ich oft „bule“ (wörtlich übersetzt weißer Albinobulle) genannt, eine gängige Bezeichnung für Ausländer*innen. In Uganda (wo ich drei Jahre lang wohnte) wurde ich oft „Muzungu“ genannt, was ebenfalls eine gängige Bezeichnung für weiße Ausländer*innen ist. In Deutschland aber bin ich eben nicht weiß. Wenn mich Kinder gefragt haben, ob ich Hund esse, oder wenn ich bei meiner Arbeit als Kellnerin für mein gutes Deutsch gelobt wurde, dann habe ich mich bei meinen Freund*innen darüber aufgeregt und es dabei beruhen lassen.
Am schwierigsten haben sich Rassismus-Gespräche in meinem engsten Familienkreis gestaltet. Mein deutscher Vater meinte, als ich ihm erzählte, dass ich laut Gesetz als Person mit Migrationshintergrund gelte, das sei doch nur auf dem Papier. Mein Vater wurde aber auch noch nie „Indianer“ genannt, als er bei Rot über die Ampel gelaufen ist.
Viele meiner Bekannten und Freund*innen waren besorgt bis schockiert, als ich verkündete, dass ich nach Leipzig ziehen will. „Was, du willst in den Osten zu den Nazis?“ fragten mich die anderen Kellner*innen. Das brachte mich fast zum Lachen, da trotz meiner Zuneigung zu meinen ehemaligen Kolleg*innen diese doch eindeutig die am wenigsten woken Menschen in meiner links-grünen Frankfurter Blase waren. Rassistisch – das sind immer die Anderen.
Ich will kein Mitleid für meine eigene Situation erregen. Ich bin mir bewusst, dass ich innerhalb dieser weiten Gruppe von Menschen mit Migrationshintergrund eine privilegierte Position einnehme. Ich hätte gerne, dass Menschen sich wieder mehr mit rassistischen Denkstrukturen und damit einhergehenden Diskriminierungen auseinandersetzen. Verwirrungen wie meine bezeugen, dass noch viel diskutiert werden muss. Die Pandemie hat sich breit gemacht und viele Themen in ein Rand Dasein verdrängt. Das ist verständlich und natürlich, wir sollten den Randthemen aber dennoch unsere Aufmerksamkeit schenken. Gerade weil Menschen mit Migrationshintergrund oft mehr mit den Auswirkungen der Pandemie zu kämpfen haben. Diskriminierung macht sich überall spürbar.
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