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  • „Also los jetzt“ – Analyse eines Ausdrucks

    Kolumnist Julian zieht Verbindung zwischen seinen Sprachgewohnheiten sowie seinem Lebensgefühl und findet in ihnen das Sinnbild eines automatisierten Alltags ohne Raum für Selbstentfaltung.

    „Also los jetzt“, fordert meine Mitbewohnerin wieder einmal auf. Der dreiwörtige Ausdruck ist in unserer WG Kult geworden. Er bedeutet so viel wie: Es gibt was zu tun, etwas abzuhaken. Dementsprechend universell zu gebrauchen, denn, wann gibt es überhaupt mal nichts zu tun? Adressiert wird damit niemand persönlich, das muss erwähnt sein. Der Ausspruch richtet sich vielmehr an einen allgemeinen Zuhörer, beispielsweise unsere Wohnung, Leipzig, die Welt oder gar das Universum (in gläubigen Kreisen könnte man auch von Gott sprechen). Falls Imitation erwünscht, ist auf die Intonation zu achten: Im gelangweilten Raunen schwingt nicht nur ein etwas wehleidig anmutender Tonfall, sondern auch eine Spur latente Genervtheit mit. Man muss ihn so wohl als einen grundsätzlich gültigen Ansporn zur Motivation, und somit letztlich auch zum Erledigen von Ungemütlichem verstehen. Ganz getreu dem Motto „Aller Anfang ist schwer“, aber hat man mal begonnen, ist es schon halb so schlimm.

    Zu den Fallbeispielen: Nach einer langen Nacht (vergleichsweise, werden die Tage im Leben doch immer länger und die Nächte immer kürzer) drucksen wir uns auf dem Sofa im Wohnzimmer unserer WG herum. Gedanklich eher beim Frühstück als beim Morgensport, hatten wir uns gestern doch blöderweise vorgenommen, joggen zu gehen. Sieht man mal von Dogmatismus ab, so will gesagt sein, doch auch getan sein. Und eigentlich haben ja auch alle Lust. Also los jetzt.

    Die Sorgen vom Wind verwehen lassen. Foto: Privat

    Der Balkon auf der Südseite ist sonnig, mit warmen Kacheln und Vogelgezwitscher lockt er verführerisch zum Nichtstun. Ich merke schnell, dass ein Online-Semester im Sommer noch viel anstrengender ist als im Winter. Ich fange an, Kurse einfach ausfallen zu lassen. Wohin meine normalerweise so wirkungsmächtige Disziplin? Ich erinnere mich an einen Roman von Sylvia Plath, den ich vor kurzer Zeit verschlungen habe: „Es war ein verrückter schwüler Sommer, dieser Sommer, in dem die Rosenbergs auf den elektrischen Stuhl kamen und ich nicht wusste, was ich in New York eigentlich wollte“. Man ersetze New York durch Leipzig und die gefolterten Rosenbergs durch ein beliebiges Ereignis der Weltpolitik, das Vorkommen dafür scheint unerschöpflich. Also türmen sich auf meinem Schreibtisch schon die Schmierpapiere, die ich bei den verhassten Vorlesungen Dienstagmorgens vollkritzle  (ehrlich gesagt bleiben sie meistens sogar leer). Bändigung der Disziplin und der Zettelwut ist gefragt, ein bisschen Uni abarbeiten. Also los jetzt.

    Ich öffne die Augen, aufgewacht bin ich wahlweise durch die donnernde Straßenbahn oder den rasenden Müllwagen, vielleicht auch die stechende Helligkeit. Die Decke wickelt mich noch angenehm ein, die letzten Träume werden von der Hässlichkeit der Stadt vertrieben. Eigentlich ist es doch ganz schön zu leben, der Tag soll angenehm werden, das Wetter verheißungsvoll. Ich fühle mich verpflichtet, meiner eigenen Existenz gerecht zu werden. Meistens heißt das Arbeiten, vermeintlich produktiv sein, Hauptsache irgendetwas tun, um das Gewissen zu befrieden. Es ist offensichtlich, ich bin ein Sklave meiner verschrobenen Ansprüche an mich selbst geworden. Durch die Leistungsgesellschaft verzerrte Vorstellungen von einem „richtigen Leben“ erdrücken mich langsam aber sicher. Lösung liegt nur im Nachgeben, aus den Federn mit mir. Also los jetzt.

    Seit wann besteht Leben nur noch aus „Also los jetzt“? Heißt das Erwachsen-Sein oder bin ich eines der vielen Opfer, die unsere Gesellschaft produziert, geplagt von Einsamkeit und einer Sinnfrage, die man irgendwann lieber verdrängt als  zu versuchen, eine Antwort auf sie zu finden? Oder ist es vielleicht auch vermessen zu denken, man könne ohne diese einnehmende Trägheit vorankommen, müsste sich nicht mehr von Tag zu Tag schleppen? Aber hier soll Schluss sein mit dem Gejammer, eigentlich geht es einem jeden von uns doch gut. In der Klage allein steckt die ganze Falschheit eines individualisierten Egozentrismus. Also los jetzt.

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