„Der Verein war eine Zuflucht“
Der JSV Bar Kochba Leipzig war in den 1920ern der größte jüdische Sportverein Deutschlands. Im Interview spricht der Historiker Yuval Rubovitch über seine Bedeutung für die jüdische Gemeinde.
In den Zwanzigerjahren versammelte der jüdische Sportverein Bar Kochba Leipzig die größte Mitgliederschaft eines jüdischen Sportvereins in Deutschland unter einem Dach. Der Historiker Yuval Rubovitch hat im Leipziger Verlag „Hentrich & Hentrich“ ein Buch über den Verein veröffentlicht und mit luhze-Redakteur Jonas Waack über den „Muskeljuden“, Integration und die Rolle von Bar Kochba in der Flucht von jüdischen Menschen vor den Nationalsozialist*innen gesprochen.
luhze: Die Gründung eines jüdischen Sportvereins Anfang des 20. Jahrhunderts war eng mit der Idee des „Muskeljuden“ verbunden. Was genau ist das?
Rubovitch: Das war eine Idee, ein Begriff aus einer Rede von Max Nordau, einem jüdisch-ungarischen Arzt aus Paris Ende des 19. Jahrhunderts. Es ging um Schutz und Verteidigung von Juden, vor allem in Osteuropa. Die litten damals unter Anfeindungen, in manchen Epochen vor und nach dieser Rede auch unter Pogromen, durch Teile der nicht-jüdischen Bevölkerung, auch durch die Regierung im russischen Zarenreich. Die Idee war, dass Juden – neben Studien in Yeshivas, also religiösen Schulen oder anderen Hochschulen, oder nicht-physischen Arbeiten – sich auch sportlich betätigen und dadurch lernen, sich selbst zu verteidigen. Natürlich wurde Nordau von der romantischen Idee seiner Zeit beeinflusst, also dem Nationalismus, der nicht nur jüdisch war. Aber in diesem jüdischen, vor allem zionistischen Kontext, war es ein Weg für die Juden, sich selbst zu schützen. In West- und Zentraleuropa passte das nicht so gut, weil Juden schon Mitglieder in vielen Sport- und Turnvereinen waren, und viele sahen sich in allen Bereichen des Lebens gut integriert. Aber die Idee war, dass Juden nicht nur Teil anderer Vereine sein sollen, sondern sich auch selbst in Vereinen organisieren, wo sie in einer jüdischen Atmosphäre gemeinsam Sport treiben können.
Bedeutete die Zugehörigkeit zu einem jüdischen Sport-verein damals trotzdem Zugehörigkeit zur Gesellschaft?
Jein. Juden waren bis 1933 auch Teil von paritätischen, also gemischten Sportvereinen. Nicht überall, aber generell gab es viele paritätische Vereine, vor allem unter den großen Sportvereinen. In den Turnvereinen war es problematischer, es gab auch antisemitische Turnvereine, weil Nationalismus und Antisemitismus in der Turnbewegung stärker waren. Jüdische Sport-vereine nahmen auch am allgemeinen Sportbetrieb teil. Es ging auf der einen Seite um eine jüdische Atmosphäre für die Trainings, aber auch darum, Teil der allgemeinen Gesellschaft zu sein. Im Fußball, dem neben Leichtathletik bekanntesten Sport von Bar Kochba, wollte der Verein erfolgreicher sein als er es war; sie haben es nie in die erste Liga geschafft. Aber im Boxen und in der Leichtathletik, im Schwimmen waren sie erfolgreicher. Dadurch konnten sie sich – ich will nicht sagen assimilieren, aber integrieren.
Lag das auch an ihrem sportlichen Erfolg?
Das kann man aus den Quellen dieser Zeit lesen. Die Sportler sahen sich als Teil der Gesellschaft und waren immer froh, wenn nationale und internationale Wettkämpfe in Sportstätten des Vereins organisiert wurden und sie Gastgeber für paritätische Sportvereine sein konnten. Sie sahen sich dadurch gut integriert.
Welche Rolle hat Bar Kochba während der NS-Diktatur für die jüdischen Leipziger*innen gespielt?
Er war eine Zuflucht. Der Sportplatz war eine der einzigen öffentlichen Stätten, wo Juden Sport treiben, turnen und ihre Freizeit verbringen konnten. Deswegen war es sehr wichtig für die Gemeinde, 1933 und 1934 den Platz zu bewahren. Damit haben sie ein paar Jahre gewonnen, in denen sie den Platz benutzen konnten. Die Rolle des Vereins und des Sportplatzes kann man nicht überschätzen. Es ist schwer vorstellbar, wie die Gemeinde in diesen Jahren ohne Sportplatz und Verein hätte weiterleben können.
Wie hat Bar Kochba den jüdischen Leipziger*innen geholfen, aus Leipzig zu fliehen und die Alija, also die Migration nach Palästina, anzutreten?
Bar Kochba hat das nicht allein gemacht, sondern als Teil des zionistischen Rings in Leipzig. Es gab einige Jugend- oder Alija-Bewegungen in Leipzig und Deutschland, die miteinander kooperierten, um die Jugend durch sogenannte Hachschara-Umschulungen auf die Alija vorzubereiten. Bar Kochba konnte den Platz anbieten und auch den Rahmen des Sportvereins. Mitglieder des Vereins waren auch Mitglieder in den Bewegungen, und dadurch konnte der Verein da mithelfen: nicht allein, aber als sehr zentraler Teil.
Titelfoto: Privat
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