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  • „Ein sakrales Momentum“

    Das Naturkundemuseum bekommt ein neues Zuhause auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz: im ehemaligen Bowlingtreff. Der Museumsdirektor Ronny Maik Leder spricht im luhze-Interview über den neuen Standort.

    Seit Ende vergangenen Jahres ist es entschieden: Das Naturkundemuseum soll umziehen, und zwar in den ehemaligen Bowlingtreff auf dem Leuschner-Platz. Über Gründe und Umsetzungspläne hat der Museumsdirektor Ronny Maik Leder mit luhze-Autorin Adefunmi Olanigan gesprochen.

    luhze: Warum zieht das Museum um?
    Leder: Am bestehenden Standort ist das Museum eigentlich schon seit Jahrzehnten an seine Kapazitätsgrenzen gekommen, sowohl in Bezug auf die Sammlung als auch moderne Ausstellungsmöglichkeiten, hinsichtlich der Nutzung neuer Medien und moderner Prä­sentationsmöglichkeiten. Als altes Schulgebäude ist der Bau seit vielen Jahrzehnten ungeeignet gewesen für ein Naturkundemuseum in einer Stadt mit über 600.000 Einwohnern: zu viel Fensterfläche, zu wenig Raumvolumen, ungünstige Raum­aufteilung, ein fehlender Empfangsbereich. Innerhalb der Siebzigerjahre haben wir zudem eine sehr bedeutende Sammlung der Universität übernommen, welche spätestens dann eine Anpassung an den internationalen Standard erfordert hätte. Dazu kommt der Charakter des Hauses: Als denkmalgeschütztes Gebäude mit zwei alten Holz­trep­penhäusern kann wegen des Brand­schutzes nur eine begrenz­te Besu­cheranzahl ins Haus. Bei meinem Antritt als Direktor 2016 waren es unter der Woche nur geführte Gruppen bis maximal 30 Personen zur gleichen Zeit und regulärer Besucherbetrieb lediglich am Wo­chen­ende möglich mit ebenfalls maximal 30 Personen zur gleichen Zeit. Das konnte glücklicherweise auf 50 Personen für die ganze Woche angepasst werden, all das natürlich vor Corona. Seitdem ist die Besucherzahl durch die Decke gegangen. Dann mussten sie oft auf dem Vorplatz warten, wenn die 50 erreicht wurden, bis wieder Menschen rauskamen und sie ein­treten durften. Das sind alles nicht so glückliche Umstände. Aber mit dem Bowlingtreff haben wir meiner Meinung nach die perfekte Lösung gefunden.

    Der Leiter des Naturkundemuseums, Ronny Maik Leder; Foto: Privat

    Der Bowlingtreff stand sicherlich nicht als einzige Möglichkeit im Raum. Welche Kriterien waren bei der Wahl entscheidend?
    Natürlich gab es Alternativen. Vom Stadtrat wurde in Auftrag ge­geben, nach geeigneten Immobilien zu suchen. Bedingung war, dass es städtische Gebäude, also welche in kommunalem Eigentum sein müssen, die das bereits beschriebene Museums­programm aufnehmen können und zwingend in Innenstadtlage liegen. Zusammen mit dem Liegenschaftsamt der Stadt konnten das Stadtbad, der Bestandsbau in der Lortzingstraße und der Bowlingtreff als geeignete Immobilien erörtert werden. Sehr dezi­diert wurde dann in einem Punk­te­system untersucht, welches Gebäude die Anforderungen am besten erfüllt. Und der Bowlingtreff hat mit deutlichem Abstand gewonnen.

    Und Sie sind glücklich mit der Wahl?
    Ja, absolut. Wenn ein Gebäude alle Anforderungen erfüllt, kann man ja nur glücklich sein. Hinzu kommt, dass der Platz an sich prädestiniert ist für so eine Institution. Quasi als Verknüpfungsstelle zwischen Innenstadt und Südvorstadt war das ein Platz, der früher unglaublich prosperierend war, an dem das Leben blühte. Stadtgesellschaft fand dort statt. Die Umgestaltung des Platzes ist ein ganz wichtiges Momentum für die Stadt Leipzig. Und wenn das Leben dort wieder einzieht, sollte auch das Naturkundemuseum nicht fehlen.

    Blicken wir zur historischen Bedeutung des Bowling­treffs in der DDR: Wie ordnen Sie das Naturkundemuseum in diesen Zusammenhang ein?
    Die Bedeutung des Ortes beginnt ja nicht nur beim Bowlingtreff, zuerst war es ein Umspannwerk in den Zwanzigerjahren, das für die Energieversorgung der Innen­stadt genutzt wurde. Als solches war es lange in Betrieb und wurde schließlich in den Achtzigern zu einem Sportzentrum für die Bevölkerung, weniger für die Spitzensportler, umgebaut. Man muss auch wissen, dass zum Bau die Leipziger Bevölkerung aktiviert wurde, in freiwilligen Stunden. So haben sich die Bürger dieses Gebäude eigen­tlich selbst erschaf­fen. Dazu kommt die besondere Architek­tur von Winfried Szie­goleit, der neben anderen auch für das Gewandhaus verantwort­lich ist. Die Gebäude sind seltene und herausragende Beispiele für post­moderne Architektur der spä­ten 80er Jahre. Für uns, das Natur­kundemuseum und mich als Di­rektor, war es wichtig, ein Gebäude beziehen zu können, das eine gewisse Strahlkraft hat. Und da gibt es kaum etwas Besseres als diesen Bau von Sziegoleit. Wenn man ein­tritt, dann fin­det man stets eine Überraschung nach der anderen. Von au­ßen ist das Gebäude weder besonders groß oder klein, vielleicht etwas besonders durch die oktagonale Form. Doch wenn man dort reinschreitet, öffnet sich der Raum und es entsteht ein sakrales Momen­tum son­dergleich­en. Geradezu perfekt. Mit einer Kanzel, von der man Bio­diversität und Na­turkunde vermitteln kann. In ei­nem anderen Interview habe ich es mal so ausgedrückt: Zwei etwas stief­mütterlich behandelte Kinder der Stadt, das Naturkun­de­museum und der Bowlingtreff, feiern Hochzeit.

    Diese alte Architektur soll sicherlich erhalten werden. Wie wird die Fusion von Modernisierung und Kultivierung alter Elemente gestaltet werden?
    Das Untergrund-Umspannwerk ist ein technisches Baudenkmal und der Achtzigerjahre-Bau ein ar­chitek­tonisches Denkmal. In­so­fern wird der Bowlingtreff wie­der so entste­hen, wie er seiner Zeit eröffnet wurde. Er wird restauriert und so saniert, dass dem Denk­malschutz genüge getan wird. Das finde ich auch gut so, weil das Gebäude innen wie außen eine tolle Qualität aufweist, sehr zeitlos ist und viele Stilelemente aufweist, auch von den Bowlingbahnen, die danach schrei­en, nach außen getragen zu werden. Das Um­spannwerk wurde grund­sätzlich schon beim ersten Um­bau ver­ändert, da kann aber erst nach der Planungsphase klar werden, wel­che Veränderungen und auch sta­tischen Elemente hier nötig sein werden. Wir wer­den viel mit dem Denkmalschutz der Stadt zusam­menarbeiten und freuen uns schon darauf.

    Zu den modernen Elementen ge­hören auch neue Ausstellungskonzepte. Wie sollen die gestaltet werden?
    Die Eckpfeiler fürs zukünftige Museum wurden schon 2017 im Museumskonzept beschrieben, das kann man sich auch online anschauen. Die drei tragenden Säulen: erste deutsche Tiefsee­expedition, Herman Heinrich ter Meer und das Mammut von Borna beziehungsweise Leipzi­ger Erdge­schich­te im weitesten Sinne. Hinzu kommen internati­onal bedeut­same Themen wie etwa Eduard Poeppig, quasi der Humboldt Sach­sens, und vieles mehr. Da gibt es bereits entspre­ch­en­de grafi­sche Herleitun­gen, auch in 3D als VR-Präsen­tation.

    Wie lange wird es noch dauern, bis das Museum seine Türen am neuen Standort öffnet?
    Das wird noch Jahre dauern. Zuerst brauchen wir von der Stadt den Planungsbe­schluss, die­ser steht kurz bevor (die Stadt­ratsitzung zum Be­schluss fand nach diesem Inter­view statt, Anm. d. Red.). Für die Planung wird es eine Aus­schrei­bung für ein Pla­nungsbüro geben, das alle Kos­ten bis zum letzten Dübel in vol­lem Umfang kalkuliert und somit Grundlage für einen Bau- und Fi­nanzie­rungs­beschluss wird. Inso­fern halte ich mich mit Prognosen zurück. Es wird einfach Zeit kos­ten, auch um es entsprechend gründ­lich zu machen, aber mit ein bis zwei Jahren Planung und zwei, drei Jahren Bau wird man schon rech­nen müssen.

    Mit welchen Ideen werden Sie die Zwischenzeit überbrücken?
    Wir haben viel vor, sowohl im Be­standsgebäude als auch wäh­rend der Interimszeit, bis der erste Spatenstich erfolgt, auf dem Leuschnerplatz. Im Bowlingtreff unter alten Strukturen, mit dem wundervollen, morbiden Charme wollen wir viel präsentieren und die Besucher und Besucherinnen auf diesen Platz vorbereiten. Auch auf das, was dort generell passiert. Aber etwas Überraschung darf denke ich noch sein.

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