Beverly Hills und andere spanische Dinge
Kolumnistin Hannah hat die letzten Monate auf den Kanaren verbracht und dabei neue Bekanntschaften geschlossen. Ein kleiner Rückblick auf den Luxus, verschwinden zu können.
Ich sitze in einer kleinen Gruppe auf dem Boden. Zwei Argentinier spielen „19 Dias y 500 Noches“ auf der Gitarre. Merten oder Martin oder so, er kommt aus München, sitzt ziemlich nah an meiner Seite. Er säuselt mir ins Ohr „Wahnsinn, diese spanische Mentalität. Das ist soo spanisch nicht wahr.“ Dabei rückt er immer näher und schaut mich dabei so eindringlich, meine Zustimmung erwartend an, dass ich ihm zuliebe einmal nicke. Das war mir dann auch in etwa so unangenehm, wie als mein Kommilitone aus Leipzig mir schrieb, ich solle auf La Gomera unbedingt den Kaninchenbraten über dem offenen Feuer probieren, das sei so Kultur.
Wenn man ein guter remote-Studi sein will, braucht man vor allem Folgendes: sehr stabiles WLAN, einen guten Tisch, eine äußerst niedrige Schamgrenze und einen Lock-down, der seit November andauert. Remote-Work oder in meinem Fall Remote-Studieren ist, naja, wenn man nicht vor Ort arbeitet und alles online stattfindet. Remote-Work ist offenbar das neue Ding. Wer etwas von sich hält und ein erfolgreicher junger Business-Typ ist, muss remote-worken. Ist die Möglichkeit die Welt zu entdecken und richtig intensive Lebenserfahrung zu sammeln. Im Tenerife Beachclub zum Beispiel.
Und passend dazu wurde die pandemiebedingt prekäre Situation der Hotelbranche auf Teneriffa, dadurch entschärft, dass die leerstehenden Apartments jetzt ziemlich günstig monatsweise wie Wohnungen vermietet werden. An die „digitalen Nomaden“, Martin oder mich.
Apropos intensiv: Zu meiner anderen Seite sitzt ein Freund von Martin, der ist schon länger hier. Er ist Berater für Investments und hat für seine Meetings eine eigene Belichtungsinstallation in seinem Apartment. Eines Abends brüllt er mal rüber zu mir, ich solle doch rüberkommen, er wolle einen Aperol Spritz trinken. Er begrüßt mich mit: „Aus der Ferne sahst du aber hübscher aus“ und „deine Titten hab‘ ich schon mal gesehen.“ Er riecht nach Aperol und verlorenen Träumen. Träume, die schon vor langer Zeit im Zug gen Sonnenuntergang gefahren sind, wobei er sich nicht gemerkt hat, welche Endstation auf dem Waggon stand. Denn jetzt hat er den nach Teneriffa genommen. Und dort sind die Träume nicht. Auf die Frage was er hier macht, sagt er, er hasse sein Leben und würde gern mal wieder bumsen wollen. Es geht hier darum, der Realität zu entfliehen, das weiß ich jetzt.
Der ganze Ort des Geschehens nennt sich Beverly Hills, der Straßenname: Calle Sunset.
Es reicht mir hier, ich ziehe weiter. Natürlich habe ich auch Spanisch gelernt. Zum Beispiel habe ich einstudiert auf Spanisch zu bestellen, nur um dann auf La Gomera mit: „na mit Karte kanscht hier net zahle“ angesprochen zu werden. Sie sind überall.
Auf La Gomera trifft man, trifft man, andere Menschen: An meinem ersten Morgen dort, als ich meine Bialetti gerade behutsam mit dem Kaffeepulver aus Zimmer 8 fülle, passierte es auch schon. Er lauert mir lautlos auf, wie ein Gepard, der aus dem Nichts auftaucht oder in seinem Fall, dem Badezimmer links: „Hallo ich bin der Manni“. Achtung, „Ohne Money, deshalb bin ich jetzt erstmal hier im Hostel!“. Erwartungsvoller Blick zu mir, unsicheres Lächeln zurück. Manni ist Mitte sechzig. Sein graues Haar ist ziemlich lang. Er hat die Sandalen und eine Muschelkette an. Er verkündet fröhlich, er bleibe jetzt erstmal wieder „so ein halbes Jahr“ und das Klima hier auf La Gomera sei wirklich das Beste für sein Rheuma. Ich drehe meine Bialetti fest zu. Man kennt sich hier, das weiß ich jetzt.
Später im Nebelwald: Der ist wirklich klasse, mitten in den Wolken, die Bäume sind ineinander verwoben und es knarzt bei jedem Schritt. Ich gehe barfuß.
Ziemlich bald kommt mir jemand entgegen. Ich ahne, ich beschleunige, ich versuche und „Ach, hallo junge Dame.“ Es ist Reiner. Er zeigt mir sein Pflanzenbuch, es handelt von den Pflanzen im Nebelwald, in Reimen, das ist der Clou daran. Zu kaufen für 14,99 Euro unten in der „Bücherei am Playa“. Aber wenn ich möchte, ist dieses Exemplar für 10 Euro meins. Ich wollte nicht.
Retrospektiv betrachtet sind meine Bekanntschaften alle sehr verschieden und außergewöhnlich. Und aus welchen Gründen auch immer, man auf den Kanaren verweilt, sei es, um verlorene Jahre im Büro zu kompensieren, seine Träume zu suchen, dem System zu entfliehen oder dem Wetter, wir haben alle etwas gemeinsam. Wir haben eben schon Money. Und wir gehören zu denen, die es sich aussuchen können zu verschwinden, auf eine Insel mit einer Inzidenz von null und rheumafreundlichem Klima. Und das ist ziemlich geil.
Titelfoto: Privat
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