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    Dass Museen sich weiterentwickeln müssen, war schon vor der Pandemie klar. Corona hat diese Entwicklung aber noch beschleunigt. Wie gehen die Museen mit der Krise um?

    Von „der größten Herausforderung, mit der sich Museen seit dem zweiten Weltkrieg konfrontiert sahen“, spricht Hartwig Fischer, deutscher Kunsthistoriker und Direktor des British Museum of Art, im Hinblick auf die Pandemie. Denn die Krise bietet genügend Gründe zur Sorge um das Wohlbefinden der Kulturinstitutionen: Ausbleibende Besucher*innen und damit wohl auch eine sich aufdrän­gen­de Sinneskrise zeigen sich so deutlich wie nie zuvor. Museen stehen heute an einem Schei­deweg mit ungewisser Zukunft, es müssen also Strategien her.

    „Einige Museen haben sich schon letztes Jahr lautlos verabschiedet und es werden uns weiterhin Museen verlassen, weil sie wirtschaftlich nicht gut genug aufgestellt sind“, prognostiziert Markus Walz, Professor für Museologie an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) Leipzig. Die wiederholten Lockdowns hätten viele Museen hart getroffen, andere konnten überraschenderweise davon profitieren und sich neue, unbekannte Besucher*innengruppen erschließen. Zu diesen gehörten vor allem Menschen, die gehindert an großen Reisen erstmals auch ihre eigene Heimat intensiv erkundet hätten. Dass das generelle Interesse an Museumsbesuchen durch die Pandemie nicht gelitten habe, berichtet auch Stefan Weppelmann, der seit dem Jahreswechsel Direktor des Museums der bildenden Künste (MdbK) Leipzig ist: „Wir waren immer ausgebucht, wenn das Haus geöffnet war.“ Der gewaltige Glaskasten inmitten der Innenstadt war insgesamt circa vier Monate geschlossen, eine „einiger­maßen anstrengende Situation nicht nur für die Mitarbeitenden, sondern natürlich auch für unser Publikum“.

    Auch beim Grassimuseum für Angewandte Kunst war ein „Corona-Knick“ in der Jahresbilanz zu verzeichnen, von rund 90.000 im Jahr 2019 fielen die Besucher*innenzahlen auf 38.000 im Jahr 2020, ein Verlust von 58 Prozent. „Damit liegen wir im Vergleich aber gar nicht so schlecht“, ordnet der Direktor Olaf Thormann die Zahlen ein. Durch das Ausbleiben des Pub­l­i­kums habe man außerdem auch anderen Aufgaben nachgehen können, die in vielen Museen längst überfällig sind und nicht erst seit Kurzem auf der Agenda stünden: der Dokumentation, Inventarisierung und Digitalisierung der Sammlung zum Beispiel. Denn die in Glasvitrinen ausgestellten Exponate sind bei genauer Betrachtung nur die Spitze eines Eisbergs, 40 bis 90 Prozent der Musealien eines Hauses befinden sich in dunklen Lagerhallen und warten darauf, sich als nützlich erweisen zu können. Ein vollständiger Bestand sei bei Naturkunde- und archäologischen Museen zum Beispiel die wesentliche Erkenntnisgrundlage. „Man untersucht alle Scherben, nicht nur die schönen. Das hat man früher gemacht, es hat sich aber als fatal erwiesen. Langfristig kann sich das Aufbewahren wirklich lohnen. Das Besichtigungsinteresse ist nun mal nicht identisch mit dem Sammlungs- und dem Bewahrungsinteresse“, so Walz.

    Der Eindruck, dass Museen bis zum höchsten Grade individualisierte Forschungsinstitute für Nischenwissenschaften sind, in die jährlich Millionen von Steuergeldern fließen, ist nicht leicht von der Hand zu weisen. Zwar sind sie vordergründig sehr publikums- und gesellschaftsbezogen – sie gelten als „kulturelles Gedächtnis, Ort des zeitgenössischen Diskurses, der Inspirationen, der Teilhabe und des Schönen“, wie Thormann beschreibt, sie „tragen dazu bei, dass so große Dinge wie Erinnerung, Identität und gesellschaftliches Miteinander funktio­nie­ren“, sagt Weppelmann. Doch stellt eine Studie des Kulturwissenschaftlers Thomas Renz, der am Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim forscht, jedwede Kulturinstitution in das oftmals mit ihnen assoziierte elitäre Licht: 50 Prozent der Bevölkerung besuchten nicht ein einziges Mal im Jahr Kulturveranstaltungen, 35 bis 45 Prozent seltener als einmal im Monat, aber mindestens einmal im Jahr. „Das kulturelle Gedächtnis ist eine Minderheitenleistung für die Gesamtheit, die nützlich, aber in ihrer physischen Anwesenheit für die meisten irrelevant und unsichtbar ist“, ordnet Walz die Zahlen ein. Kunstmuseen hätten nochmal ein viel kleineres Publikum, das dafür aber auch öfter Besuche tätige, was aber auch der Beschaffenheit der Exponate zuzuschreiben sei: „Kunstmuseen sind elitär, keine Frage. Das liegt aber nicht an den Museen, sondern an der Kunst“, kritisiert er.

    Um Museen von diesem schlechten Ruf zu befreien, sind mittlerweile von vielen Seiten verschiedenste Bestrebungen zu erkennen, vorzugsweise durch eine starke Präsenz im digitalen Raum oder junge Ausstellungsthemen. Ein Beispiel dafür war die letztjährige Schau des MdbK, „Zero Waste“ mit ihrem ökologischen Fokus. Und auch online ist das MdbK so präsent wie nie: „Wir freuen uns darüber, ein wirklich qualitätsvolles Social Media-Programm anbieten zu können, das weit über das Posten irgendwelcher Digitalisate hi­naus­geht. Aber wir bleiben da nicht stehen. Unsere Strategie muss es sein, möglichst die gesamte Stadtgesell­schaft zu adressieren“, sagt Weppelmann.

    Anfang dieses Jahres launchte auch das Grassimuseum für Angewandte Kunst ein neues digitales Tool, einen Mediaguide, „der sich differenziert ganz verschiedenen Nutzergruppen erschließt – von Kindern bis zu Mitmenschen mit Behinderungen. Man kann ihn einerseits während des Museumsbesuchs nutzen, andererseits eben auch von zu Hause aus“ , beschreibt Thormann. Bisher habe es „ein wunderbares Feedback“ gegeben und auch das Totschlagargument gegen Digitalisierung bewahrheite sich in keiner Weise: „Entgegen allen Unkenrufen lässt sich eins mit Sicherheit sagen: In der Regel bedeutet der digitale Konsum eine Art Anteasern oder Informationsvermitteln, ohne dass dies negative Auswirkungen auf den analogen Besuch hätte – ganz im Gegenteil!“, berichtet er.

    Doch eine Befürchtung kursiert in der Kunstszene sowieso, die auch vom Direktor des Grassimuseums für Angewandte Kunst geteilt wird: „Die große Zeit der Blockbuster-Ausstellungen, für die Besucher*innen stundenlang anstehen, um dann schon leicht ermattet im Gedränge ein paar Blicke auf Werke zu erhaschen, die sie unter anderen Vorzeichen bequem und entspannt genießen können, ist vielleicht infolge von Covid auch weltweit erst einmal vorbei.“

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