Ich liebe Hochschulpolitik
Kolumnist Jonas schreibt seit fast drei Jahren über Hochschulpolitik. Irgendwann hat er zu seinem Erschrecken feststellen müssen, dass er sich in sie verliebt hat.
Dies ist eine Liebeserklärung an die Hochschulpolitik und das Schreiben darüber. Ich erkläre meine Liebe, denn selbstverständlich ist sie nicht. Ja, es geht wirklich dieses Potpourri etwas absurd anmutender Diskussionen und Förmlichkeiten, Machtgefälle und langsam ladender Websites. Denn ich habe selten so gelacht, war selten so gespannt und habe selten das Gefühl gehabt, mit meinen Texten so viel verändern zu können, wie hier.
In diesem Text werde ich noch große Worte wie Demokratie und Zivilgesellschaft verwenden, aber beginnen möchte ich damit, dass die Hochschulpolitik oft einfach drollig ist. Zum Beispiel, wenn eine trotzkistische Hochschulgruppe dem Studierendenrat (Stura) der Universität vorwirft, sich mit rechten Kräften gemeinzumachen. Richtig gelesen: dem Stura, der ja vieles sein mag, aber nun wirklich nicht rechts. Mein persönliches Highlight ist hier folgendes Zitat eines Sprechers der betreffenden Hochschulgruppe: „Wir haben die historische Parallele aufgezeigt zu den 30er Jahren. Es brauchte damals eben keinen äußeren Zwang der Nazis für die Selbstgleichschaltung an den Universitäten.“ Der Stura als politisches Organ der konservativen Revolution, soso.
Ausgesprochen komisch fand ich es auch, als der Haushaltsausschuss des Stura dem Plenum nicht empfohlen hat, den Arbeitsgruppenstatus des Rings Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) zu verlängern. Der RCDS ist sowas wie die CDU-Fraktion des Stura, und ihnen quasi den Fraktionsstatus entziehen zu wollen, ist eine Frechheit, die ich nur bewundern kann. Dass sie dasselbe mit den Jungsozialist*innen gemacht haben (aber dort mit weniger Vehemenz), beeindruckt mich noch mehr.
Solche Spielchen sind herrlich, weil sie zeigen, dass in den wichtigsten studentischen Gremien der Universität eben keine abgezockten Politik-Profis sitzen, sondern gelegentlich gehässige Menschen, die gleichzeitig ernsthaft daran interessiert sind, die Welt für die Studierenden ihrer Hochschule besser zu machen. Der Stura der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) kämpft seit Jahren gegen seine Marginalisierung durch die Hochschulleitung und macht tonnenweise Überstunden, um trotz Pandemie und Briefwahl eine stabile Wahlbeteiligung zu erreichen. Und der Uni-Stura versucht mit seinen Finanzhilfen, die lächerlichen Unterstützungsversuche des Bundeswissenschaftsministeriums auszugleichen.
An dieser Stelle kommen wir zu den großen Worten. Weil Demokratie nämlich ziemlich weit unten beginnt. Die Menschen in den Studierendenvertretungen verbessern jeden Tag das Leben der Studierenden ein bisschen. Oft genug scheitern sie auch an diesem Anspruch. Aber immerhin: Sie versuchen es. Sie sitzen in Fakultätsräten, Prüfungsausschüssen und seit einem Jahr auch im Krisenstab, um irgendwo noch was für uns herauszuholen. Das ist ziemlich toll. Demokratie muss von ganz oben bis ganz unten überall existieren, sonst funktioniert sie nicht, weil irgendwo die Kette demokratischer Entscheidungen reißt und die Menschen am unteren Ende baumelnd zurücklässt. Dass sich unsere Vertreter*innen an diesem Ende der Kette dabei ab und zu in Privatfehden verlieren, macht das Ganze nur sympathischer.
Und es ist wichtig für – Achtung, hier kommt das zweite große Wort – die Zivilgesellschaft. Denn wer das Gefühl hat, an Entscheidungen beteiligt zu sein, fühlt sich eher dem Ort dieser Entscheidungen verbunden. Das sorgt wiederum dafür, dass er*sie sich für Verbesserungen an diesem Ort einsetzt. Und je schöner, zugänglicher, offener ein Ort ist, desto mehr Menschen werden sich in ihn verlieben und sich für ihn einsetzen.
An den Universitäten und Hochschulen kommt die Postkutsche der Politik prall gefüllt mit Paketen an, sie fährt hier nicht los. Deswegen braucht es die Menschen, die aus dem Inhalt dieser Pakete das Bestmögliche machen. Und am besten schicken sie noch ein paar mit Nachdruck unterlegte Forderungen zurück, damit die nächste Ladung schöner ist.
Zuletzt liebe ich die Hochschulpolitik, weil Kritik und Lob wirklich ankommen. Wenn ich in einem Kommentar für luhze einen Beschluss des Stura kritisiere, kann ich mir sicher sein, dass ihn die Kritisierten auch lesen. Die Kanzlerin der HTWK, Swantje Rother, hat in Reaktion auf unsere Recherche zur Kritik an ihr und den verhärteten Fronten an der Hochschule dem hauseigenen Fernsehsender ein Interview gegeben. Und manchmal überarbeitet eine Selbsthilfegruppe mal fix ihre Website, wenn ihnen kritische Fragen gestellt werden.
In der Hochschulpolitik macht jede Stimme, sei sie von innen oder von außen, einen Unterschied. Sie versucht, unser Studium und alles drumherum zu verbessern. Und manchmal ist sie so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass es lächerlich wird. Das mag ich sehr.
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