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  • Suizidzahlen sanken während des ersten Lockdowns

    Leipziger Forscher*innen haben die Suizidraten in der Frühphase der Coronapandemie untersucht. Diese sind im Vergleich zu den Vorjahren nicht gestiegen, jedoch ist die Prävention weiterhin wichtig.

    Die erste Phase der Pandemie hat zu keiner erhöhten Suizidsterblichkeit geführt. Das hat eine groß angelegte Metaanalyse mit Suizidstatistiken aus 21 Ländern herausgefunden, zu der auch eine Forschungsgruppe der Universitätsmedizin Leipzig regionale Daten beitrug. Die Studie der Universitätsmedizin berechnete auf Basis von Suizidraten der vergangen zehn Jahre einen Trend für die normalerweise zu erwartenden Zahlen im Frühjahr 2020 ohne Pandemie. In der Berechnung wurden übliche Schwankungen mitberücksichtigt, beispielsweise, dass im Sommer tendenziell höhere Zahlen verzeichnet werden als im Winter. Mit diesem Trend wurden anschließend die vom Gesundheitsamt berichteten Zahlen verglichen. Aus dem Vergleich geht hervor, dass die Anzahl der Suizide in Leipzig unter dem berechneten Wert lag, es also weniger Suizide als erwartet gab.

    „Bei externen Bedrohungen ist das Zusammengehörigkeitsgefühl und Miteinander sehr ausgeprägt“, erklärt Daniel Radeloff, Studienleiter und Jugendstationsleiter der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in Leipzig. Dies sei zu Beginn der Pandemie der Fall gewesen, demnach ein wesentlicher Schutzfaktor und möglicher Interpretationsansatz für die Daten. Außerdem seien im Januar und Februar 2020 mehr Suizide verzeichnet worden, was den Abfall im März einordnen könnte. Grundsätzlich seien die Begründungsmuster aber rein spekulativ.

    Auch wenn die Suizidraten nicht gestiegen sind, sei es möglich, dass andere Symptomatiken in diesem Zusammenhang verstärkt auftreten. Das „Deutschland-Barometer Depression“ zu den Auswirkungen der Pandemie auf die mentale Gesundheit zeigt, dass vor allem jene, die bereits vor den Einschränkungen von Depressionen betroffen waren, negative Folgen durch Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie erfahren. Doch auch bisher nicht Betroffene kämen während der Pandemie zum ersten Mal mit depressiven Symptomen in Kontakt, sagt Radeloff.

    Da Suizidalität zur Symptomatik von Depressionen gehören kann, kann die Prävention an dieser Stelle ansetzen. „Es ist wichtig zu wissen, dass die Krankheit in der Regel gut behandelbar ist“, betont Maria Melzer vom Leipziger Bündnis gegen Depression. Wie zentral es ist, offen über die Thematik zu sprechen, hebt auch Radeloff hervor: „Der Weg in die Praxis oder Klinik muss entstigmatisiert werden. Auch während der Pandemie sind alle Anlaufstellen erreichbar“. Die Pandemie hat dazu beigetragen, dass viele Hilfsangebote nun auch digital angeboten werden. Die Bereitschaft, diese wahrzunehmen, ist laut Melzer seit letztem Jahr erheblich gestiegen. „Der digitale Raum kann als Übergang zur Therapie sehr wertvoll sein“, sagt Melzer. Mittlerweile gebe es auch wieder Angebote vor Ort.

    Eine konkrete Vorhersage für die Zukunft ist laut Radeloff aus der Leipziger Studie nicht abzuleiten. Bis Februar 2021 seien die Suizidzahlen im Vergleich zum Vorjahr nicht angestiegen. Allerdings könne man aus den Daten keine Schlüsse auf die Auswirkungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen, zum Beispiel nach Alter, Geschlecht, oder speziell für Studierende ziehen. Radeloff zufolge ist es als Kernbotschaft wichtig, nicht zu spekulieren, sondern die Situation so realistisch wie möglich abzubilden. Eine positive Bilanz zieht er auf gesamtgesellschaftlicher Ebene: „Dass die Zahlen trotz der enormen Belastung nicht angestiegen sind, ist erstaunlich, und zeigt eine gewisse Resilienz in unserer Gesellschaft“.

    Falls du eine Ansprechperson oder Unterstützung suchst, kannst du dich kostenfrei an die psychosoziale Beratungsstelle des Studentenwerks wenden. Wenn deine Gedanken darum kreisen, sich das Leben zu nehmen, bieten verschiedenen Organisationen Hilfe und Auswege an:

    Anonyme Telefonseelsorge: 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222. Dort sind Mitarbeiter*innen rund um die Uhr erreichbar, mit ihnen können Sorgen und Ängste geteilt werden. Die Telefonseelsorge bietet auch einen Chat an: telefonseelsorge.de

    Hilfe – auch in türkischer Sprache – bietet das muslimische Seelsorge-Telefon „Mu-TeS“ unter 030 – 44 35 09 821. Die Mitarbeiter dort sind 24 Stunden am Tag erreichbar.

    Eine Übersicht weiterer Angebote hat die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention unter www.suizidprophylaxe.de aufgelistet.

    Titelfoto: Pixabay

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