Eine Ode an die Freundschaft
Kolumnistin Leoni hat ihre letzte Woche in Wien verbracht, gute Freunde wiedergesehen, viel Prosecco getrunken und dabei verstanden, worauf es im Leben wirklich ankommt.
Vergangene Woche war ich für einige Tage in Wien.
Freunde besuchen, die dort vor einigen Monaten hin- und von hier weggegangen sind. Ich weiß nicht, ob es bloß mir so geht, aber kurz bevor der Zug an der Endstation hält und man sich durch fremde Bahnhöfe, an Menschen und Gepäck vorbei, durch gemischte Gerüche bewegt, bewegen sich in mir gemischte Gefühle. Unerheblich wen ich treffe, wie nah mir die Personen sind oder wie gut man sich kennt, kurz kommt ein kleines Unbehagen in mir auf, weil ich Angst habe, nicht anzukommen. Eine seltsame Mischung aus Performance-Druck und der Sorge vor unangenehmem Schweigen, sich nichts zu sagen haben, weil irgendwann alle Neuigkeiten erzählt und jeder Winkel in meinem Hinterkopf ausgeräumt ist.
Doch dann, als ich meinen Weg in die Josefstädterstraße gefunden hatte, als Jo die erste Flasche Prosecco aus dem Kühlschrank holte, die wir zu unseren Geschichten übers Leben der letzten sechs Monate tranken, als ich mit ihr in klebriger Stadthitze durch den achten Bezirk schlenderte, als die zweite Umarmung nach Feierabend sich nach Familie anfühlte, als wir uns so viel zu sagen hatten, dass wir den Regen auf dem Boot am Donaukanal fast nicht bemerkten, als Kim den Duft unter den Brücken Wiens als „Eau de piss“ bezeichnete, ich mich an meinem Aperol festhielt, während ich Dinge erzählte, über die ich sonst nicht spreche (nie spreche), wir nach dem zweiten, dritten und vierten Prosecco in der Prosecco Bar immer noch durstig nach mehr waren, und am Morgen von der Nacht noch so breit, dass wir unser Frühstück am Marktstand zwar bezahlten, dann aber einfach liegen ließen und zurückgehen mussten. Als ich mich hinter Kim auf seiner Royal Enfield Bullet so frei fühlte, dass ich fast loslassen wollte, wir auf dem Fotostreifen aus dem Fotoautomat unglaublich dämlich aussahen und ich wusste, er würde zuhause trotzdem einen Platz an meiner Wand finden, und mich am Gleis wartend auf den Zug zurück eine die Kehle zuschnürende Sentimentalität befiel, wurde mir etwas klar.
Irgendwo zwischen Wien und Leipzig wurde mir klar, dass es doch nicht so ist, wie ich dachte.
Ich dachte, man findet seine Stadt, wie man einen Partner findet. Man ist überall nur temporär glücklich und kann sich nicht vorstellen sein Leben miteinander zu teilen, bis man an diesen einen Ort kommt, an dem man sich so zuhause und angekommen fühlt, dass man sich nicht vorstellen kann, je wieder unter einem anderen Himmel einzuschlafen.
Egal durch welche Straßen man läuft und an welchen Ecken man sich verliert, man weiß, man gehört zueinander und auch wenn man länger nicht dort ist, kann man es wieder fühlen, wenn man zurückkehrt.
Irgendwo zwischen dort und hier ist mir klar geworden, dass ich irrte. Denn wo ich mit Leuten bin, die ich liebe, liebe ich, wo ich bin. Mein Glück ist nicht ortsabhängig, sondern abhängig von mir. Abhängig davon, wo ich Erinnerungen sammle, die mich später glücklich an den Ort zurückdenken lassen. Abhängig davon, wer mich umgibt und wer dafür sorgt, dass ich mich selbst gern mit mir umgebe.
Dann sind alle Straßen hell, jeder Kaffee schmeckt nach Liebe, jede Kippe schmeckt nach Glück und jeder Sonnenstrahl auf warmer Haut fühlt sich wie Sommer an.
Jetzt weiß ich, dass ich fühle „Ich bin angekommen“, wo ich bei mir ankomme. Egal ob Kriegsstraße, Reudnitz, Ehrenfeld, 16. Bezirk oder in jemandes Armen.
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