Partyszene Sachsenbrücke goes wild
Die nichtvorhandene Wertschätzung des Verzichts der Jugend im Zuge der Coronakrise zeigt sich besonders gut an der Debatte rund um die Sachsenbrücke, findet Kolumnist Dennis.
Der zynische Deal, den die Gerontokraten der Generation Y bis Z gerade anbietet, sieht wie folgt aus: Wir prügeln euch eine Dekade lang durch ein vollkommen marodes Schulsystem, und wenn eure besten Jahre zeitlich zufällig mit einer globalen Pandemie korrelieren, erwarten wir von euch, dass ihr in den Bildungskasernen im Winter friert, da wir keinen Bock haben, euch Luftfilter zu spendieren, und natürlich die selbstlose Interessenaufgabe, damit die Boomerschwemme zum Dank im Edeka ihre Maske unter dem Rüssel tragen können. Der Dudenjugendwortbeauftrage würde sagen: „whack“.
Dass diese lauwarme Kosten-Nutzen-Kalkulation nicht ganz aufgeht, zeigt sich regelmäßig in dem, was von dogmatisch-konservativen Lokalpolitikern als „Partyszene Sachsenbrücke“ deklariert und pflichtgemäß für scheiße befunden wird. Jugendliche, die sich in der Zeitspanne Tagesthemen bis Frühstücksfernsehen in großen und kleinen Gruppen dem Hedonismus und der letzten verbliebenden Lebensfreude abseits von Bildschirmekstase und Lernstress hingeben – schlimm!
Eigentlich könnte dieser Alltagseskapismus dem Bausparvertragsromantiker abseits der zu erwartenden intergenerationären Antihaltung vollkommen egal sein, wäre es nicht jüngst zu einem schwereren Körperverletzungsdelikt gekommen, was natürlich instant den Verbotsforderungsimpuls triggert. Und gleich vorweg, wer es durch seine fragile Männlichkeit und fehlende Impulskontrolle nicht schafft, Konflikte friedlich und ohne Ansicht aus Klingenthal kommunizieren zu können, sollte mal ein intensives Gespräch mit Justizia halten und hat dort auch nichts zu suchen!
Doch wie wir die Prozedur aus der Politik kennen, wenn die Sau einmal frei läuft, findet sich auch schnell jemand, der einen Sattel drauf wirft und sie durchs Dorf jagt. Statt einer vollumfänglichen Analyse der Gesamtsituation erfolgt eine Symptombehandlung auf Basis einer metaphorischen Globulitherapie. Es ist nämlich so, während ein Teil der Bevölkerung bequem im Homeoffice arbeiten konnte oder sich im Fußballstadion mit Senfpeitsche und Hopfenwumpe amüsieren durfte, standen Schüler und Studierende ziemlich lange im kalten Regen. Dass sich diese Gruppe aber ungern zuhause einsperren und sich mit dem in Doppelmoral getränkten Solidaritätsnarrativ lange ruhigstellen lässt, dürfte dabei eigentlich klar sein. Oder einfach gesagt: Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg, beziehungsweise eine Brücke. Und dann passiert wieder das absolut Vorhersehbare – der gemeine Boomer versucht mit vorgeschobenen Argumenten auch diesen letzten verbliebenden Ort des Eskapismus zu nehmen. Mal davon abgesehen, dass Körperverletzungsdelikte rund ums Nachtleben nicht so ungewöhnlich und daher keine spezifischen Qualitätsmerkmale der Sachsenbrücke sind, ist nicht jeder Partyszenengänger ein krimineller Rowdie.
Nun steht eine Allgemeinverfügung im Raum, die eine Nachtruhe ab 22 Uhr verordnet, damit das zugezogene Bildungsbürgertum im Musikerviertel nicht belästigt wird und natürlich das obligatorische uns-fällt-sonst-nichts-ein-und-wir-wissen-nicht-dass-man-Alkohol-auch-aus-einer-Plastikflasche-trinken-kann-Glasflaschenverbot. Wobei zugegeben, nichts ist gefährlicher als irgendein Germanistikbachelor mit seiner Club Mate Flasche. Zudem zeigt die Polizei mit einem ganzen Fuhrpark an Wannen Präsenz und verhaftet dir deine Bluetoothbox weg, wenn du zu laut Annemaykantereit hörst, oder so ähnlich.
In der gegenwärtigen Post-Corona-Lage ist fraglich, ob sich dort zukünftig noch Leute treffen mit dem Ziel, den Clarapark zu verwüsten. Aber da die Sachsenbrücke auch zu meinen Lieblingsspots in Leipzig gehört, werde ich mich auch weiterhin vor Ort mit Leuten treffen und wenn wir auch noch nach Einbruch der Dunkelheit vor Ort verweilen, sind wir nicht automatisch Teil eines zu kriminalisierenden Mobs, der ein Polizeiaufsichtsaufgebot wie an einem Grenzübergang braucht!
Und hier mal noch ein Pro-Tipp an die politisch Verantwortlichen: Anstatt wieder mit der üblichen Planlosigkeit und Verbotskultur die zukünftigen Rentenzahler zu gängeln, wie wäre es damit, Möglichkeiten zu schaffen, in denen sich Jugendliche treffen können? Warum dürfen Geimpfte, Getestete und Genesene nicht in einen Club oder Konzertvenue, aber tausende Leute in ein Fußballstadion, Theater oder Großraumbüro? Okay, rhetorische Frage zugegeben, denn eigentlich kennen wir alle die Antwort.
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