Urlaub vom Urlaub
Kolumnist Leon hat in der vergangenen Woche gemerkt, wie schwierig es ist, im Urlaub abzuschalten. Auf dem Weg zur Entspannung stolpern wir oft über unsere eigene Unfähigkeit.
Während ich diesen Text schreibe, denke ich mir: „Was machst du eigentlich gerade hier?“ Es ist 2:17 Uhr. Ich liege im Bett, wollte eigentlich schlafen. Meine Freunde sitzen noch auf dem Balkon und lassen unseren gemeinsamen Urlaub ausklingen. Aber da war ja noch diese Kolumne. Der erste Entwurf, vor einigen Stunden auf der Sonnenliege am See mit Blick auf die Alpen fertig geschrieben, wurde für unbefriedigend befunden. Also neuer Text, neues Thema und etwas, das ich im Urlaub eigentlich in meiner WG lassen wollte: die Arbeit.
Oder zumindest ein Gefühl davon. Dass es sich nicht wirklich um Arbeit handelt, verrät die Bierflasche neben meinem Beach-Office am See. Das Schreiben macht mir Spaß und zu Hause komme ich zu selten dazu. Perfekte Voraussetzungen für eine Urlaubsaktivität. Und dennoch kann ich den Blick auf den österreichischen Sternenhimmel nicht komplett genießen, der Erwartungsdruck an mich selbst kreist in meinem Kopf.
Es ist inzwischen 2:31 Uhr und anstatt die letzte Nacht im Urlaub zu genießen, schlage ich mich mit einer Deadline herum. Das hätte ich auch in Leipzig haben können. Der Gedanke an die drei Essays, die noch auf ihre Niederschrift warten, lassen die Nervosität weiter steigen und die letzten Tage in den Bergen verblassen. Meine Situation ist symptomatisch für das, was wir unter Urlaub und Erholung verstehen.
Viele von uns tappen in die gleiche Falle. Anstatt den Urlaub als das zu begreifen, was er ist – Entspannung um ihrer selbst Willen – versuchen wir auch die letzten Tage im Jahr, an denen wir der Logik der Arbeitswelt entfliehen könnten, mit Zweck zu füllen. Akribisch durchgeplant von den Billigflügen bis zum Frühbucherrabatt, sollen uns die zwei Wochen abseits der Heimat auf eins vorbereiten: bald wieder zu funktionieren, mit besten Grüßen vom Vorgesetzten.
Es ist absurd, dass wir uns scheinbar zweimal im Jahr bewusst aus unserem Leben herausreißen müssen. Wenn unser Alltag so monoton und kräftezehrend ist, dass uns nur die regelmäßige Flucht bleibt, sollten wir darüber nachdenken, was wir den Großteil des Jahres eigentlich falsch machen. Die ständige Predigt von der Work-Life-Balance scheint nur bei den wenigsten mit Betonung auf Letzterem zu verfangen. Wie auch, wenn dem Chef dabei weniger am Familienleben des Mitarbeiters, als an der Minimierung der Krankheitstage liegt? Dabei sind die unzähligen Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen noch gar nicht erwähnt. Wenn nach der Arbeit der Zweitjob ansteht, fehlt nicht nur das Geld, sondern auch die Zeit zur Erholung.
Auch wenn mich persönlich nichts daran hindert: Die nötige Distanz zu meinen Verpflichtungen kann ich im Urlaub trotzdem nicht aufbauen. Woher sollte ich auch wissen, wie Erholung richtig geht? Während drei Semestern Onlinestudium ist mir aufgefallen, wie schwer es fällt, Uni und Freizeit voneinander zu trennen. Bereits die räumliche Distanzierung fällt komplett weg. Die Vorlesung schaue ich im Bett, das Seminar verfolge ich beim Kaffeekochen und beim Netflixabend checke ich noch schnell meine Mails. Zwischendurch folgen endlose Prokrastinationsmarathons in der Twitter-Timeline, ohne Mehrwert für die eigene Zufriedenheit. Mit der Erwartung in den Urlaub zu fahren, dass einige Wochen am Strand an dieser Lebensweise etwas ändern könnten, ist naiv. Nach wenigen Tagen schlägt das gekonnte Nichtstun um in Langeweile und das Buch, das ich schon seit Monaten lesen wollte, landet nach der Rückreise zurück auf dem Nachttisch, mit Sonnencreme-Flecken auf den ersten zehn Seiten. Erholung beginnt nicht beim Einsteigen in den Flieger und endet nicht am Kofferband.
Dabei merkt man so schnell, was wirklich Entspannung bringt. Als ich vor wenigen Stunden mit meinen besten Freunden zusammen auf der verlassenen Bergstraße über unserer Ferienwohnung lag, nur die Sterne und die Lichter der umliegenden Dörfer um uns herum, war der Stress der vergangenen Wochen weit weg. Diese Unbeschwertheit können wir auch im Alltag erreichen. Es kostet nur die Überwindung, uns nicht von Arbeit oder Uni unseren Tagesablauf diktieren zu lassen. Was uns entspannt, sollten wir täglich mit ähnlicher Stringenz verfolgen, wie das Einhalten unserer Deadlines.
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