„Ich würde gerne die Wissenschaften und Künste verheiraten“
Die Leipziger Chemikerin Evamarie Hey-Hawkins wurde im Juni in die Europäische Akademie der Wissenschaften und Künste aufgenommen. luhze-Redakteur Yannick M. Beierlein sprach mit ihr.
luhze: Erst einmal herzlichen Glückwunsch zur Aufnahme in die Europäische Akademie der Wissenschaften und Künste. Nun wurden Sie bereits 2018 in die Europäische Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Hängen diese beiden Netzwerke zusammen?
Hey-Hawkins: Es gibt viele Akademien. Wenn Sie im Internet schauen, dann werden Sie sehen, dass es einmal die regionalen und nationalen Akademien gibt, und dann gibt es noch die internationalen Akademien. Zum Beispiel haben wir in Sachsen die regionale Sächsische Akademie der Wissenschaften in Leipzig. Die Akademien sind überwiegend autonome Einrichtungen, die natürlich teilweise ähnliche Ziele verfolgen. Europäische Akademien verschreiben sich da meist internationalen Zielen mit Schwerpunkt Europäische Union. Den Unterschied zwischen den Akademien machen die Mitglieder aus. Die European Academy of Sciences ist in der Tat mehr den Wissenschaften verschrieben, wogegen die Europäische Akademie der Wissenschaften und Künste eben auch die Künste beinhaltet, was ich besonders spannend finde. Ich denke, dass man als Wissenschaftler*in ein gewisses künstlerisches Element haben muss. Außerdem kommt in der Akademie auch noch die theologische Komponente zum Tragen, was mit den Gründern zu tun hat. Zwar gibt es eine Einteilung in Klassen unterschiedlicher Disziplinen, aber eben insbesondere auch die Möglichkeit, interdisziplinär zu arbeiten. Wissenschaft und Kunst oder Wissenschaft und Theologie sind keine Gegensätze, ganz im Gegenteil.
Also diskreditiert sich ein Netzwerk aus Wissenschaftler*innen nicht etwa selbst, wenn es auch aus Geistlichen besteht?
Nein, überhaupt nicht. Man muss sich doch gegenseitig anhören und austauschen können, selbst wenn man nicht gleicher Meinung ist. Ganz im Gegenteil: Ich finde Diversität immer besser. Wenn Sie fünf Leute in einen Raum sperren, die alle die gleiche Lebenserfahrung und den gleichen Werdegang haben und ein Problem lösen sollen, dann werden diese Menschen wahrscheinlich sehr ähnliche Ideen produzieren. Wenn Sie aber ganz unterschiedliche Disziplinen und ganz unterschiedliche Menschen aus unterschiedlichen Teilen der Welt an Problemen arbeiten lassen, dann können viele verschiedene Ideen dabei herauskommen. Einfach zu verstehen, warum gewisse Leute eine bestimmte Meinung haben, und dann natürlich auch darüber zu diskutieren, das ist doch auch Teil dessen, was den Dialog ausmacht.
Was kann diese Diversität denn für die Wissenschaftsgemeinde leisten?
Es gibt weltweit viele Probleme. Ich bin Chemikerin, das heißt, Probleme, die ich sehe, sind in erster Linie solche, die mit Chemie zu tun haben. Probleme wie der Klimawandel, Mikroplastik oder Verlust der Biodiversität sind natürlich nicht nur auf Deutschland oder Europa bezogen, das sind weltweite Probleme. Ich kann mir als einzelner Mensch Gehör verschaffen, aber ich bin eben nur ein Mensch. Ein Sprachrohr zu haben, wie die Akademie, mit Wissenschaftler*innen, die mit mir zusammen sprechen und so meiner Stimme viel mehr Gehalt verleihen, das ist auf jeden Fall ein Vorteil. Gerade dann, wenn es darum geht, Politiker*innen zu überzeugen. Fakten sind wichtig, aber diese Fakten so zu vermitteln und zu verpacken, dass sie jede*r versteht, kann durch eine Kooperation mit Künstler*innen viel besser geschehen, und das ist in so einer Gemeinschaft natürlich viel besser möglich.
Warum wurden Sie in das Netzwerk aufgenommen und wie lief der Aufnahmeprozess ab?
Für solche Mitgliedschaften kann man sich nicht bewerben. Sie brauchen Fürsprecher. Ein sehr renommierter Kollege hat mich vorgeschlagen, worüber ich mich sehr gefreut habe. Natürlich ist der Vorschlag keine Garantie für eine Aufnahme, denn letztendlich müssen der Senat und der Dekan der jeweiligen Klasse auch zustimmen. Was man sehen will ist, dass zukünftige Mitglieder in der Wissenschaft ausgewiesen sind. Das Netzwerk der Wissenschaften ist ein sich ständig evaluierendes. Weil ich erwarte, dass meine Publikationen, Projekte und Mitarbeitenden entsprechend fair und kompetent begutachtet werden, bringe ich mich natürlich ebenfalls in diesen Bereichen aktiv ein und versuche, ein bisschen was von dem zurückzugeben, was ich in meiner Laufbahn erfahren habe. Ich denke, das ist für Akademien wichtig: aktive Mitglieder, die auch mal den Mund aufmachen und den Finger auf die Wunde legen.
Woran möchten sie jetzt mit diesem Netzwerk arbeiten?
Ich hoffe, dass wir die Ziele, die die Akademie gegenwärtig verfolgt – insbesondere Diversität und Biodiversität – in die Gesellschaft tragen können. Ohne Diversität entgeht uns unglaublich viel. Deswegen hoffe ich, dass ich mich gerade in diesen Bereichen mit einbringen kann.
Und gibt es schon ein ganz konkretes Projekt, dass Sie auch persönlich gerne verfolgen würden?
Ich würde gerne zusammen mit Künstler*innen die Dinge, die ich wissenschaftlich mache, in einer Art und Weise darstellen, dass Kunst und Wissenschaft verheiratet werden. Ich habe in meinem Arbeitskreis einen Postdoktoranden, der nebenbei auch Künstler ist und viele Cover für unsere Publikationen in Journalen entworfen hat. Als Chemiker hat er das Hintergrundwissen, um chemische Ergebnisse in ein künstlerisches Bild umzusetzen. Das finde ich einfach super und das ist etwas, das ich gerne auch in der Akademie mit Künstler*innen ohne naturwissenschaftlichen Hintergrund versuchen würde.
Was bedeutet es für Sie, nun in einer Reihe mit Nobelpreisträger*innen zu stehen?
Ich weiß nicht, ob man da von „in einer Reihe stehen“ sprechen sollte. Nobelpreisträger*innen sind doch besondere Wissenschaftler*innen und Menschen. Ich finde es aber einfach großartig, dass uns gerade solche Personen eben durch ihren Status als Nobelpreisträger*in noch mehr Gehör verschaffen können. Und mit diesen Menschen in einer Akademie zu sein, das finde ich toll.
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