Soziale Räume oder Räume für soziale Ignoranz?
Kolumnistin Leoni war während ihres Polen-Trips in der Warschauer Clubszene unterwegs und hat neben der Anfangseuphorie des „Endlich wieder Tanzen“-Gehens ein anderes Gefühl in sich bemerkt.
Ich sitze im Raucherraum eines Warschauer Clubs und rauche.
Ich rauche und rede mit meiner Freundin darüber, wie merkwürdig sich das anfühlt, was mal ganz normal war, bevor eine erste, zweite und dritte Welle des Virus, dessen Name nicht genannt werden darf, über uns hereinbrach. Irgendwie ist es ein gutes Gefühl, im Rauch zu sitzen und sie nicht richtig zu erkennen, durch den Nebel, die Stimmen und den Bass. Andererseits ist da das mittlerweile gewöhnlich gewordene Unbehagen vor sozialen Situationen, fremden Menschen und fremdem Drehzeug. Während wir so dasitzen und die Situation um uns rum nicht richtig einzuordnen wissen, schieben sich Beine in mein Sichtfeld. Ich schaue irgendwie nicht direkt hoch, sondern erstmal runter. Und frage mich im selben Moment, weshalb mich die Schuhe dieser fremden Beine mehr interessieren als das Gesicht dazu. Hässliche Schuhe, denke ich, und schaue hoch.
Die fremden Beine gehören einem fremden Typen, der in der Zwischenzeit meine Freundin angesprochen und nach einer Zigarette gefragt hat und sich nun an der unverputzten, hippen Techno-Schuppen-Wand hinuntergleiten lässt, um sich neben uns niederzulassen. Meine Freundin zuckt mit den Schultern und verweist auf mich. Mein Drehzeug. Ich reiche es ihm, lächle ihn an und versuche gleichzeitig zu entscheiden, ob ich mich gleich in einem Gespräch mit einem völligen Fremden wiederfinde oder ihn wegignoriere.
Irgendwie entwickelt sich sowas wie ein Smalltalk. Man fragt uns, ob wir aus Warschau kommen, woher dann, was wir hier machen und ob es uns gefällt. Ich antworte auf die Fragen, wie als würde man mich abfragen und bin beeindruckt von der Offenheit in Person neben mir, die sich wesentlich besser schlägt als ich.
Irgendwie drifte ich immer wieder ab. Ich bin nicht konzentriert und auch nicht interessiert genug, um dem fremden Typen zuzuhören, der sich als Anwalt herausstellt. Ich muss schmunzeln und frage mich, wieviel Uhr es wohl gerade in New York ist. Neben mir geht es gerade um den Zweiten Weltkrieg, was mich erahnen lässt, wieviel ich in der Zwischenzeit verpasst haben muss. Oder meine Freundin – inzwischen Moderatorin dieser Gesprächsrunde – hat es tatsächlich fertiggebracht, irgendwie unauffällig die Brücke zwischen seinem Auslandssemester in Strasbourg und dem Nationalsozialismus zu schlagen. Ich höre ihr an, dass auch sie sich nur Mühe gibt und mich vermutlich hasst, weil ich neben ihr die Klappe halte und einen Typ am anderen Ende des Raumes beobachte.
War das schon immer so, dass mich nichts interessiert hat, oder ist es die Grenzerfahrung, zu der Clubbesuche während des letzten Jahres geworden sind, die mich so unsozial macht? Ist das überhaupt unsozial, wenn ich einfach fühle, dass die Worte des Gegenübers gar nicht ankommen? Sie fließen irgendwie an mir vorbei und verlieren sich im Raum. Gesprächsfetzen, die keinen Sinn ergeben, erreichen mich und ich bleibe ungesprächig. Politik, Philosophie, fremde Fakten über fremde Menschen.
Ich beginne mich zu fragen, ob Clubs überhaupt Räume für soziale Interaktion sind, oder viel eher Räume der sozialen Ignoranz? Man steht schließlich an keiner Bar und hält Ausschau nach den geeignetsten Gesprächspartner*innen. Oder doch?
Wodka Sour vibriert in meiner Kehle und ich kann mich nicht entscheiden, wie ich das Gefühl finde. Scheiße, denke ich, bin ich innerhalb eines verlorenen Jahres zu einer absoluten Langweilerin geworden oder liegt es einzig und allein an dem Anwalt mit den hässlichen Schuhen und den auffällig großen Pupillen?
Ich entscheide mich für Letzteres, die Situation löst sich irgendwie auf, wir gehen an die Bar, kippen uns noch einen Drink rein und müssen über die eindeutig konsumgeschuldete Kommunikationsbereitschaft des Anwalts lachen.
Obwohl wir die ganze restliche Nacht durchtanzen, uns frei und gut fühlen und im Hellen zurück in unser Airbnb stolpern, bleibt mir eine Frage im Kopf. Durch diverse Lockdowns haben sich Laptop und eigene vier Wände zum sozialen Zentrum etabliert. Nicht nur gearbeitet und studiert, sondern auch getanzt hab ich im letzten Jahr meistens zuhause. Kann mittlerweile den Boiler Room von Folamour auswendig und hab Eros Disco Dynamite beim Baden, Kochen und im Schlafzimmer gehört. Alles was du brauchst, ist eine gute Soundbox, gute Gesellschaft und einen Teppich im Flur, damit die Nachbarn den Rave nur schallgedämpft mithören müssen. Tausende Veranstaltungen, Festivals und Partys haben so im letzten Jahr stattgefunden und ich hab in diversen WGs, in diversen Städten dazu immer wieder die Bässe aufgedreht und in Küchen mit Freund*innen geraucht. Bin ich irgendwie, ohne es gemerkt zu haben, aus Clubs rausgewachsen?
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