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  • „Rekommunalisierung hat mit Versorgungssicherheit zu tun“

    Im Vorfeld der Bundestagswahl interviewen wir die Direktkandidierenden aller im Bundestag vertretenen Parteien. Sören Pellmann tritt für die Partei Die Linke im Leipziger Süden an.

    Sören Pellmann hat seit 2017 das Direktmandat der Linke für den Bezirk Leipzig Süd im Bundestag inne. Im Interview mit luhze-Redakteurin Sanja Steinwand spricht er über die Werte der Linken, Beziehungen mit Russland und soziale Klimapolitik.

    luhze: Haben Sie das Gefühl, im Bundestag etwas bewegen zu können?

    Pellmann: Wenn man in der Opposition ist, hat man weniger die Chance, etwas über Anfragen und Anträge zu bewegen. Man kann aber insbesondere in die Stadtgesellschaft hinein Türen öffnen, Gespräche vermitteln und auf dem kurzen oder langen Dienstweg sehr konkrete Dinge für die Menschen erreichen.

    Sie haben das einzige Direktmandat der Linke inne, außerhalb von Berlin. Ist es ein Problem der Linken (als politische Strömung), dass sie sich in Kleinstparteien zersplittert?

    Wenn man sich den Atlas der Bundesrepublik anschaut, ist insbesondere in Großstädten die Situation so, dass linke progressive Kandidierende eigentlich immer eine Mehrheit hätten. Also wenn es eine Einigung gäbe zwischen SPD, Linke, Grünen und den kleineren Grüppchen, dann würde kein CDU oder gar AfD-Bewerber irgendwo ein Direktmandat insbesondere in den Großstädten gewinnen. Das findet so aber nicht statt. Und da gibt es tatsächlich eine Zergliederung. Die schadet der politischen Linken und führt gegebenenfalls dazu, dass rechts außen die AfD mit 24 Prozent Direktmandate gewinnen kann. Das ist in Leipzig anders gelaufen und ich hoffe auch, dass es diesmal anders läuft.

    Mitte Juni haben Sie mit Sahra Wagenknecht eine Kundgebung zum 80. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion gehalten – ist nun ein guter Zeitpunkt, um deutsch-russische Freundschaft zu zelebrieren?

    Ich bin der festen Überzeugung, dass man gut beraten ist, auch mit Blick auf den Kontinent Europa, mit Russland zusammenzuarbeiten. Und wenn man sagt, man möchte Frieden in Europa und darüber hinaus, dann wird das nur mit Russland zusammen gehen. Ich glaube Embargos und solche Dinge sind der falsche Weg. Dabei muss dennoch immer kritisiert werden, was in dem großen Land Russland falsch läuft. Zum Beispiel, dass Minderheiten benachteiligt werden, dass queer lebende Menschen dort unterdrückt und eingesperrt werden, dass Meinungen der Opposition nicht geduldet werden.

    Gegen Sahra Wagenknecht läuft derzeit ein Ausschlussverfahren. Was halten Sie davon?

    Ich glaube, dass man in einer Partei unterschiedliche Auffassungen aushalten und tolerieren muss. Ich teile nicht jeden Satz, den sie sagt, aber es gibt auch andere, deren Sätze ich nicht immer teile. Wichtig ist: Wir haben ein gemeinsames Programm, ein gemeinsames Ziel, dafür kämpfen wir. Den Ausschluss aus einer Partei halte ich für das völlig falsche Mittel der Auseinandersetzung.

    Wagenknecht wird vorgeworfen, sie verstoße gegen die „Werte der Linke“. Was sind die Werte der Linke?

    Das wird sich jetzt in dem Verfahren zeigen, ob da irgendwo dagegen verstoßen wurde. Sie kämpft für das Soziale, für Gleichberechtigung, für Teilhabe und für eine inklusive Gesellschaft, das sind alles Werte der Linken und dafür steht auch Sahra Wagenknecht.

     

    Macht die Linke Identitätspolitik?

    Nein, ich glaube nein.

    Ihre Partei will die Schaumweinsteuer abschaffen und auf ehemaligen Braunkohlegebieten den Hanfanbau fördern. Wie ernsthaft sind diese Vorschläge?

    Die Schaumweinsteuer ist in der Kaiserzeit entstanden als Finanzierung für Kriege. Man schafft also nachträglich eine Kriegssteuer ab. Und wenn man sich die Zahlen anschaut, dann ist das nicht so, als würde das zu einem Wahnsinnsgewinn oder Verlust bei den Steuereinnahmen führen. Was den Hanfanbau beziehungsweise die Renaturierung von Braunkohletagebaurestgebieten angeht, stehe ich voll dahinter. Auch dass man mit einem Seitenhieb für die Legalisierung von Gras eintritt, dafür stehen wir als Partei schon lange ein. Weil das insbesondere eine immer noch illegale Droge ist, die bei weitem nicht so gefährlich ist wie zum Beispiel Tabak oder Alkohol, die beide legal sind. Es gibt viele Länder in Europa, in denen Gras legal ist, das ist das Normalste der Welt.

    Sie wollen Strom und Wärmenetze in die öffentliche Hand nehmen und Energiekonzerne entmachten. Inwiefern hilft dies dem Klima oder sind das lediglich Sozialisierungsbestrebungen?

    In Leipzig sind wir in der glücklichen Lage, dass sich das Stromnetz in kommunaler Hand befindet. Aber es gibt Kommunen, in denen das nicht so ist. Rekommunalisierung hat mit Versorgungssicherheit zu tun, weil wenn eine Firma nicht mehr zahlungskräftig ist und zehntausend Haushalte ohne Strom dastehen, ist das der völlig falsche Weg. Wir haben als Stadt Leipzig beschlossen, dass die Stadtwerke aus dem Kohlestrom aussteigen müssen und zwar deutlich schneller, als es die Bundesregierung fordert. Das hätten wir mit einem Privatunternehmen nicht machen können.

    Wie kann man Klimapolitik sozial gestalten?

    Wer sind denn die großen CO2 Erzeuger? Das sind die mit wesentlich dickerem Portemonnaie. Das sind nicht die, die wenig Geld verdienen. Diese Menschen fliegen nicht zwei Mal im Jahr in den Urlaub, die haben nicht zwei oder drei Autos, die haben im Zweifel gar kein Auto. Man muss Anreize schaffen, zum Beispiel den kostenfreien öffentlichen Personennahverkehr. Wir haben vor drei Jahren als Linke ein Preismoratorium in Leipzig durchgesetzt. Das heißt seit drei Jahren gibt es keine Erhöhungen mehr bei den Tarifen. Das hat schon was bewirkt. Jetzt sind wir auf dem Weg, das sogenannte 365 Euro Ticket einzuführen.

    Den Grünen wird oft vorgeworfen, dass Sie Verbotspolitik machen. Halten Sie Verbotspolitik bei einem so essenziellen Thema wie dem Klimawandel für gerechtfertigt?

    Nein, wenn ich etwas verbiete, wie zum Beispiel Verbrennungsmotoren oder Dieselfahrzeuge, dann muss ich Alternativen anbieten. Nehmen wir eine Familie, die im ländlichen Umland von Leipzig wohnt, wo kein Bus und keine Bahn hinfährt, wie kommen die nach Hause? Solange es keine Alternative gibt, kann ich nicht mit Verboten reagieren. Das führt zu Frustration. Wenn die Alternativen kommen und dann nicht genutzt werden, dann muss über Verbote nachgedacht werden.

    Ihre Partei will das Bafög reformieren. Wie wollen Sie vorgehen?

    Wir haben viele Jahre keine Erhöhungen gehabt. Wir hatten in der letzten Wahlperiode die sogenannte große Bafög-Reform. Das war aber eher ein Reförmchen. Die Zahlen derer, die es in Anspruch nehmen oder die überhaupt anspruchsberechtigt sind, sind weiter rückläufig. Das zeigt, dass das Instrument Bafög, wie es mal gedacht war – und zwar um ein Studium zu ermöglichen, ohne dass man nebenher arbeiten gehen muss – kaum noch verwirklicht wird. Die Alternative, die Konservative über Bildungskredite sehen, halte ich persönlich für den völlig falschen Weg. Wenn man fertig ist mit dem Studium und 40 oder 50.000 Euro an eine Bank zurückzahlen muss. Das ist der Wahnsinn.

    Zwei Drittel aller Vermögen sind in der Hand der oberen zehn Prozent der Bevölkerung. Gleichzeitig zahlen zehn Prozent der Deutschen 50 Prozent der Steuern und Sie wollen durch die Vermögenssteuer und Erbschaftssteuer dafür sorgen, dass es noch mehr wird. Ist das gerecht?

    Das sind zwei Sachen. Zum einem die Erbschaftssteuer, die es gibt, die aber noch immer viel zu gering ist. Es geht nicht darum, dass wenn ein Kind von seinen Eltern ein Einfamilienhaus erbt, da eine Erbschaftssteuer draufzulegen. Aber bei den zehn Prozent der Reichen und Schönen in diesem Land ist nicht alles durch eigene Arbeit erworben, sondern zu 95 Prozent durch Erbe. In einem solchen Übertragungsfall, meistens sind es Firmen, die aktiendotiert sind mit zig Millionen, kann man einen gewissen Betrag verlangen. Das andere ist die Vermögenssteuer.  Auch hier ist immer die Frage, was ist Vermögen? Da sind wir sehr klar: alles, was oberhalb einer Million liegt. Dafür ist die Abgabe erst fällig. Und bei Firmenvermögen, also bei allem wo das Geld nicht bar auf der Bank oder in Depots liegt, ist die Grenze zehn Millionen. Das ist also eher entspannt für die übergroße Mehrheit. Deswegen verstehe ich auch den Aufschrei nicht, man wolle allen ans Portemonnaie. Es würde aber einen großen Batzen an Geld bringen, der in diesem Land sinnvoll investiert werden könnte.

    Foto: Claudia Urban

     

    luhze hat alle Direktkandidierenden zweimal kontaktiert. Paula Piechotta, Peter Jess und Siegbert Droese haben uns keine oder nur verspätet Termine vorgeschlagen, weshalb mit ihnen keine Gespräche stattfinden konnten.

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