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  • „Nie gab es mehr zu tun, um wieder den Erfindergeist zu wecken“

    Im Vorfeld der Bundestagswahl interviewen wir die Direktkandidierenden aller im Bundestag vertretenen Parteien. René Hobusch tritt für die FDP im Leipziger Norden an.

    René Hobusch ist Rechtsanwalt, Präsident des Immobilienverbandes Haus und Grund Sachsen und tritt zur Bundestagswahl für die FDP im Bezirk Leipzig Nord an. Über Klimapolitik, Kolonialismus und Wohnraum sprach mit ihm luhze-Redakteurin Adefunmi Olanigan.

    luhze: Das Wahlmotto der FDP lautet „Nie gab es mehr zu tun“. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Baustellen Deutschlands?

    Hobusch: Die haben sich in den letzten zwei Jahren gezeigt. Im Sommer des vergangenen Jahres hätten wir vermutlich noch viel mehr darüber gesprochen, wie wir Schule digital gestalten können. Die Pandemie verdeutlichte uns, dass wir uns bei der Digitalisierung auf dem Level eines Entwicklungslandes befinden. Mit großer Kraft stützten wir die Wirtschaft, aber auch diese Möglichkeiten sind endlich. Und wir sind in einem Land, das dabei ist, seinen Spitzenplatz in der Welt zu verlieren und auf hintere Plätze zurückzufallen. Wenn wir Probleme wie den Klimawandel und CO2-Emissionen nicht nur für uns lösen wollen als Deutsche oder in Europa, sondern wenn wir Freiheit und Wohlstand weltweit garantieren und gewährleisten wollen, brauchen wir technische Möglichkeiten. Deshalb ist das Motto: „Nie gab es mehr zu tun“ genau richtig. Nie gab es mehr zu tun, um wieder den Erfindergeist zu wecken und die Potentiale zu erheben, die uns seit 200 Jahren als Entwickler und Erfinder ausmachen.

    Was sehen sie dafür als konkrete Strategien?

    Wir sind an vielen Stellen viel zu behäbig geworden. Wir reden gerade im Zusammenhang mit den Herausforderungen des Klimawandels nur über Verbote und Einschränkungen. Die Klimadebatte fokussiert sich fast nur darauf, ob wir noch ein Klimaziel erreichen, ob wir die Einschränkung von CO2 erreichen. Wir reden nicht darüber, wie wir diese ambitionierten Ziele umsetzen können. Wir verlieren völlig aus dem Fokus, dass um uns herum Menschen sind, die sehen, wie wir im nördlichen Teil der Welt leben und die auch dahin möchten. Wir können nicht sagen, wir produzieren jetzt alle plötzlich von heute auf morgen kein CO2 mehr, sondern wir müssen uns fragen: Wie können wir besser sein?

    Und wir müssen aufhören uns nur auf eine Lösung zu fokussieren. Was ist mit Technologien, die noch nicht entdeckt, aber in fünf oder zehn Jahren möglich sind? Wir müssen aufhören uns in einem Tunnel zu bewegen, weil wir sonst die Wissenschaft in ihrer Freiheit beschränken.

    Wenn Sie von Technologien reden, die in fünf bis zehn Jahren entstehen, ist es da nicht schon zu spät? Nach dem IPCC werden wir ohne drastische Maßnahmen vermutlich schon 2030 die 1,5 Grad erreichen, das Ziel, das wir uns global gesteckt haben, und bis 2050 weit darüber hinausschießen.

    Aber machen wir uns an dieser Stelle doch mal ehrlich. Es stellt sich die Frage, ob wir dieses 1,5-Grad-Ziel überhaupt noch erreichen, wenn jetzt schon einige Wissenschaftler sagen, es ist unrealistisch. Liest man den IPCC-Bericht richtig, wird gesagt, selbst wenn wir heute einen absoluten Stopp hätten, wird sich die Entwicklung des Klimas insgesamt noch zwanzig bis dreißig Jahre weiter fortsetzen, weil das, was wir jetzt sehen, das Ergebnis von Emissionen von vor zehn oder zwanzig Jahren ist. Wir werden uns konfrontiert sehen mit anderen Herausforderungen, mit Fluten und Starkregen auf der einen, mit Waldbränden und Trockenheit auf der anderen Seite. Wir müssen uns vielmehr mit der Frage zum Umgang mit den Folgen beschäftigen. Welche Antworten haben wir für die Menschen, die nur zwei Meter über dem Meeresspiegel zu Hunderttausenden oder Millionen wohnen, im Süden des Globus in Bangladesch und anderswo auf den Inselwelten. Wie schaffen wir es, dass Menschen dort nicht zu Schaden kommen oder riesige Flüchtlingsströme entstehen, weil ihnen buchstäblich das Wasser bis zum Hals steht? Die Antwort ist nicht allein CO2-Reduktion und schon gar nicht nur in Deutschland. Die Frage für uns als Deutsche ist: Wie können wir mit unserem Innovationsgeist Möglichkeiten liefern, um mit den Folgen des Klimawandels umzugehen?

    Ist es nicht zu wenig, wenn wir uns überlegen, wie unsere zukünftige Welt aussehen könnte und sonst sagen: Die Wirtschaft, die regelt das schon. Es wird schon etwas erfunden werden.

    Ich sage ja nicht, die Wirtschaft regelt das schon. Meine Kritik ist die, dass wir uns im Moment viel zu sehr auf Ausstiegsszenarien reduzieren, ohne Weg dahin. Wir können doch nicht sagen, wir schaffen einen klimaneutralen Gebäudebestand in der Bundesrepublik. Wir sorgen dafür, dass bis 2035 oder 2040 zweiundvierzig Millionen Wohneinheiten klimaneutral sind und kein CO2 emittieren. Und gleichzeitig fordern wir aber, dass Wohnen bezahlbar bleiben muss. Ich bin, wenn ich nur in die Haustechnik investiere, bei zwei Euro Investitionen pro Quadratmeter. Das muss am Ende irgendjemand bezahlen. Wir diskutieren auf der einen Seite über einen Mietendeckel und auf der anderen Seite erwarten wir von privaten Eigentümern, dass sie etwas dafür tun, dass ihre Gebäude kein CO2 ausstoßen. Zudem wird viel zu wenig über die Ergebnisse von Klimaforschung diskutiert, weil wir uns eigentlich nur noch auf Klimapolitik fokussieren. Und in dieser Debatte sehr totalitär sind. Es kann doch nicht sein, dass ich auf einem Podium zur Klimamesse mit Luisa Neubauer bin. Und ich sage: „Es kommt doch nicht darauf an, dass nur wir als 80 Millionen Deutsche unseren Anteil an CO2 reduzieren, sondern die Frage ist, folgen uns in diesem Ziel rund 1,4 Milliarden Chinesen? Folgen uns über eine Milliarde Inder? Folgt uns Afrika und die Staaten Südamerikas?“ Und sofort werde ich als Klima-Rassist bezeichnet. Das kann doch irgendwo nicht sein.

    Ihre genaue Formulierung lautete jedoch: „ Wir […] Deutsche […] sind doch nicht das Problem, sondern die Chinesen, Inder, Afrika, Südamerika“ und zudem sagten Sie „Bieten wir Ihnen die Technologien, […], um Ihnen den Wohlstand zu gewähren, den wir selbst haben.“ Das fördert unter anderem weiterhin Abhängigkeiten, die durch die Kolonialisierung seit Jahrhunderten bestehen. Und so stellt sich die Frage, ob dann nicht eigentlich nur Deutschland als Standort wächst. Oder sorgt es wirklich dafür, dass die Länder selbst auch davon profitieren?

    Das ist eine weitere Facette dieser Debatte. Aber wo sind denn die Fähigkeiten und die Möglichkeiten, technische Lösungen anzubieten? Wer hat das Know-how und wer hat wirtschaftlich die Kraft dazu? Das ist vor allem Europa und die deutsche Wirtschaft, die so etwas kann. Man sieht, dass große Automobilhersteller, wie VW, und Energiekonzerne Verantwortung übernehmen wollen. Und natürlich wollen sie Innovation verkaufen und dass sich das Risiko der Forschung auszahlt, indem sie Produkte produzieren, die abgenommen werden. Aber sofort mit dem Stichwort Kolonialpolitik diese Debatte zu führen ist schwierig, man macht sie damit tot. Plötzlich sind Scheuklappen da und es können nur noch Diskussionen stattfinden. Das bringt uns nicht zur Verwirklichung unserer Ziele.

    Wie wollen Sie dafür sorgen, dass es in wachsenden Städten wie Leipzig genügend und vor allem bezahlbaren Wohnraum gibt?

    Also ich in den 90er Jahren in den Leipziger Westen zog, war die Stadt an vielen Stellen grau und noch kaputt. Jetzt ist dort ein pulsierender Boulevard mit Leben, Kultur, Vielsprachigkeit. Natürlich kommt mit der Entwicklung einer Stadt auch eine Verknappung von Wohnraum daher. Insbesondere, wenn Sie bedenken, dass wir zur Jahrtausendwende in der Stadt fast 20 Prozent Leerstand hatten. Zur Frage: Wie gehen wir mit dieser zunehmenden Knappheit um? Wir haben Stadtteile, da gibt’s kaum noch Angebote. Wir haben aber auch Stadtteile mit noch 10 Prozent Leerstand. Wir müssen es schaffen, diese positive Entwicklung Leipzigs auf alle Stadtteile zu verteilen, und es schaffen, alle Menschen mitzunehmen, darin in andere Stadtteile zu ziehen und Offenheit für Zuzug zuzulassen.

    Das andere ist: Ich bin fest davon überzeugt, dass, wenn wir es schaffen, Investitionen in den Neubau attraktiv zu machen und aufhören, immer weiter zu regulieren, dann wird es ein gutes Angebot an neu gebauten Wohnungen geben, die vielleicht aus der Sicht des ein oder anderen teurer sind. Aber dann wird sich Bevölkerung anders und neu verteilen in einer Stadt. Wir müssen das eben für alle Stadtteile gut organisieren. Wir können nicht anders, als den Bedarf mit neuem Wohnraum zu bedienen, indem wir investieren. Und wenn der zugleich CO2-neutral und klimatechnisch fortschrittlich sein soll, dann hat das seinen Preis. Dann ist die gesamtgesellschaftliche Frage: Wie gehen wir damit um? Wir werden es jedenfalls nicht mit einer Mietpreisbremse lösen.

    Der FDP ist Bildung insbesondere wichtig. Im Parteiprogramm heißt es, sie ist „die elementare Voraussetzung für individuelles Vorankommen und selbstbestimmtes Leben.“ Um sich Bildung in Form eines Studiums oder einer Ausbildung zu leisten, sind viele Schüler*innen oder Student*innen auf finanzielle Unterstützung angewiesen, wie z.B. das Bafög. Die Zahl der Bafög-Empfänger*innen geht aber seit Jahren zurück. Wie planen Sie, Bildung ausreichend und unbürokratisch möglich zu machen?

    Wir müssen zukünftig sicherstellen, dass wir völlig unabhängig vom Geldbeutel der Eltern auskömmliches Bafög zur Verfügung stellen. Das muss doch einfach und bürokratiearm gehen. Wir müssen es wieder schaffen, dass Bildung ein Garant für persönlichen und gesellschaftlichen Aufstieg ist. Wir müssen es wieder schaffen, dass auch Kinder und Jugendliche aus einfachen Verhältnissen, aus nicht-akademischen Haushalten, mit Potenzial ein Hochschulstudium zu beginnen, die Möglichkeit dazu haben. Wenn wir das Versprechen der freiheitlichen Demokratie, dass Teile von Gesellschaften nicht gegeneinander abgeschottet sind, sondern dass es möglich ist, aufzusteigen – gesellschaftlich, sozial, wirtschaftlich und durch Bildung – nicht mehr erfüllen können, dann schwächt das unser freiheitliches System.

    Foto: Rico Thumser / foto-leipzig.de

     

    luhze hat alle Direktkandidierenden zweimal kontaktiert. Paula Piechotta, Peter Jess und Siegbert Droese haben uns keine oder nur verspätet Termine vorgeschlagen, weshalb mit ihnen keine Gespräche stattfinden konnten.

    Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.

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