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  • „Im Bundestag arbeiten Sie 90 Prozent für die Mülltonne“

    Im Vorfeld der Bundestagswahl interviewen wir die Direktkandidierenden aller im Bundestag vertretenen Parteien. Christoph Neumann tritt für die AfD im Leipziger Norden an.

    Für die AfD will Christoph Neumann den Wahlkreis Leipzig-Nord gewinnen. Im Interview mit den luhze-Redakteur*innen Charlotte Nate und Jonas Waack spricht er über seine außen- und tourismuspolitischen Vorhaben, Bafög und rassistische Aussagen.

    luhze: Sie arbeiten als OSZE-Wahlbeobachter. Hat das Ihren Blick auf die Demokratie in Deutschland verändert?

    Neumann: Sehr. Positiv und negativ. Insgesamt funktioniert die Demokratie hier, aber sie ist an manchen Stellen sehr verbesserungswürdig.

    Inwiefern?

    Der Bundespräsident müsste direkt vom ganzen Volk gewählt werden. Im Artikel 146 des Grundgesetzes steht, dass sich nach der Wiedervereinigung das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung selbst eine Verfassung gibt. Die haben wir bis heute nicht. (Infolge der Wiedervereinigung wurde die betreffende Stelle umformuliert: „Die Deutschen in den Ländern haben in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet. Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk“. Außerdem steht dort nun, dass „sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben“ hat. Staatsrechtler sind sich einig, dass das Grundgesetz die Anforderungen an eine Verfassung erfüllt, Anmerkung der Redaktion.)

    Hat Ihre Arbeit als Wahlbeobachter auch Einfluss auf Ihre außenpolitischen Ansichten?

    Wir sind oberlehrerhaft. Jedes Land und jedes Volk hat das Recht, die Demokratie so zu gestalten, wie sie selbst wollen.

    Eines Ihrer zentralen Ziele ist die Vollendung des Elster-Saale-Kanals. Warum halten Sie ihn für wichtig?

    Wir sind eine der wenigen großen Städte Mitteldeutschlands, die keinen direkten Wasseranschluss haben, der schiffbar ist. Es wäre aber für den Tourismus, für die Menschen hier ein absoluter Gewinn.

    Auch heute ist Studieren noch eine Geldsache. Viele Abiturient*innen, die aus Familien kommen, die keine großen Einkommen haben, können sich das immer noch nicht leisten. Wollen Sie das ändern?

    Wir haben ja da das Bafög.

    Damit kann man zum Beispiel in Städten wie Hamburg oder München, wo die Mieten sehr hoch sind, gar nicht studieren.

    Das ist korrekt. Die Frage ist jetzt aber, ob man das Bafög aufgrund der Wohnlust des Studenten anpassen muss oder ob der Student nicht dahin gehen kann, wo er preisgünstig studieren kann. Man muss sehen, wie man sich selbst am eigenen Schopf packt und nicht sagen, der Staat müsse für alles zahlen.

    Am 24. Juni hat der Bundestag über die Änderung des Klimaschutzgesetzes abgestimmt und erhöhte Klimaschutzziele beschlossen. Ihre Fraktion und auch Sie hatten dagegen gestimmt. Warum?

    Weil mir das alles zu einseitig und nicht konkret gedacht ist. Wenn Sie die gesamte Erdgeschichte betrachten, gab es immer Klimaveränderungen. Es gibt erst seit ungefähr 1860 gesicherte Daten über das Wetter in Europa. Und diese Daten zu nehmen und damit eine Klimakrise zu begründen, ist total unwissenschaftlich. Wenn Sie die Carbon-Methode nehmen, um rauszukriegen, wie sich das Wetter der letzten Millionen Jahre verändert hat, dann sehen Sie, dass Sie diese Schwankungen minimal sind. (Der Weltklimarat, der aus den führenden Wissenschaftler in ihren Feldern besteht, nennt den menschlichen Einfluss auf den Klimawandel „zweifelsfrei bewiesen“. Der Anstieg der Temperaturen sei der schnellste seit mindestens 2000 Jahren, Anmerkung der Redaktion.)

    Es gibt sichtbare Folgen, jüngstes Beispiel ist die Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und NRW. 

    Die sind definitiv menschengemacht, weil da Baufehler gemacht worden sind.

    Was wären Ihre Strategien, dagegen vorzugehen?

    Wir müssen die wasserbautechnischen Maßnahmen so gestalten, wie Sachsen es gemacht hat.

    Das ist Symptombekämpfung. Würden Sie auch etwas dagegen tun, dass sich das Klima erwärmt?

    Das können wir nicht beeinflussen. Man kann nur eins machen: sich mit vernünftigen Mitteln den Gegebenheiten, die die Natur vorgibt, stellen.

    Sie waren jetzt vier Jahre im Parlament. Was haben Sie gelernt?

    Dass sich die Abgeordneten gegenseitig die Taschen voll hauen. Es ist ineffizient. Sie arbeiten 90 Prozent für die Mülltonne, haben einen Zwölf- bis 14-Stunden-Tag, auch Samstag, Sonntag. Langfristig schaden Sie Ihrer eigenen Gesundheit und die Ziele, die sie erreichen, sind minimal. Das könnte man ändern, indem man Anträge macht, die wirklich notwendig sind und sich nur mit Deutschland beschäftigen.

    Warum wollen sie dann wiedergewählt werden?

    Es ist ein Herzenswunsch von mir, meine Heimat Mitteldeutschland und die Gemeinden zu stärken, weil ich sehe, hier ist ein Potenzial im Tourismus. Wir können Arbeitsplätze schaffen und die Menschen können darin partizipieren.

    In einem Interview von 2017 vor der Bundestagswahl haben Sie Umsturzfantasien beschrieben. Sie haben gesagt: „Diese Migranten sind im wehrfähigen Alter und kampferfahren. Wenn die in einer Nacht alle Bundeswehrkasernen überfallen, sind wir Gefangene im eigenen Land.“

    Der Begriff Umsturzfantasien ist Quatsch. Das sind Realitäten. Diese werden ernst genommen von Menschen in den Sicherheitsbehörden. (Laut dem Verfassungsschutzbericht von 2020 stellt Rechtsextremismus die größte Bedrohung für die Demokratie dar, das „salafistische Personenpotenzial“ lässt nach. Für Neumanns Behauptungen ließen sich keine Belege finden, Anmerkung der Redaktion.)

    Haben sie in den letzten vier Jahren ihre Positionen dahingehend verändert?

    Nein, in keiner Weise.

    Und bezüglich rassistischer Kommentare, wie „Moslems sind nicht bereit, Sitten und Gebräuche ihres Gastlandes zu respektieren“?

    Das hat doch mit Rassismus nichts zu tun. Das würde mich mal interessieren, warum Sie diese Aussage unter Rassismus subsumieren.

    Weil das eine Bevölkerungsgruppe verallgemeinert und ihr schlechte Eigenschaften zuschreibt.

    Da habe ich eine andere Definition von Rassismus. Haben Sie gestern nicht gesehen, dass einer in Berlin niedergestochen wurde, weil ein anderer Mann seine Frau angeschaut hat? (Neumann bezieht sich wahrscheinlich auf einen Anfang Juli ausgeübten Femizid, Anmerkung der Redaktion.) Gehen Sie mal die Sonnenallee in Berlin lang. Da sehen Sie kaum Deutsch, überwiegend Türkisch und Arabisch. Ich wüsste nicht, wie das eine Bereicherung sein soll. (Laut den Neuen Deutschen Medienmacher*innen ist der Begriff (Kultur-)Bereicherer „zynisch gemeint und stammt aus der rechtsextremen Szene“. Er soll die radikale Ablehnung einer Bereicherung Deutschlands durch Menschen mit Einwanderungsgeschichte ausdrücken, Anmerkung der Redaktion.) Und mir Rassismus vorzuwerfen, ist ein echter Affront, ich würde Sie am liebsten rausschmeißen. Ich integriere die ganze Welt in meiner Heimatstadt und in Mitteldeutschland. Ich möchte mal die Inder sehen, die ich integriert habe, die Chinesen, Japaner, ob die sagen, dass ich Rassist bin. Also überlegen Sie mal, was Sie von sich geben, unverschämt.

    An dieser Stelle verlässt Christoph Neumann den Konferenzraum. Fünf Minuten später kehrt er zurück und das Interview wird fortgesetzt.

    Der Verfassungsschutz strebt danach, die AfD als Verdachtsfall einzustufen. Wie stehen Sie dazu?

    Das sehe ich sehr kritisch, denn ich sehe in keiner Weise einen Grund, dass die AfD gegen den Staat arbeitet. Und deswegen halte ich auch die ganze Vorgehensweise für politisch motiviert. Die Konsequenz ist nicht, dass die Partei nur verfassungskonform geprüft wird. Die Zielsetzung ist, die Akademiker oder die Führungspersonen und die gut ausgebildeten Leute aus der AfD rauszuholen. Wir entwickeln uns teilweise von einer Professoren- zu einer Proletarier-Partei. Das ist das Schlimme, was ich sehe.

    Foto: Christoph Neumann

    luhze hat alle Direktkandidierenden zweimal kontaktiert. Paula Piechotta, Peter Jess und Siegbert Droese haben uns keine oder nur verspätet Termine vorgeschlagen, weshalb mit ihnen keine Gespräche stattfinden konnten.

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