La dolce vita
Wie es ihm gelang, 25 Jahre lang das angenehmste Land Europas zu meiden? Auf diese Frage findet Franz in seiner Urlaubskolumne keine Antwort. Dafür geht es um Corona, Gewalt und Mobilitätswandel.
Ich saß schon sieben Stunden im IC von Wels (Oberösterreich) nach Halle (Saale), als er aus Erfurt herausfuhr – fast wieder zuhause. Die meisten Mitreisenden im zweiten Stock des Doppelzugs kauerten sich zusammen und versuchten, eine Mütze Schlaf zu erhaschen. Eine Niederländerin hatte sich ihr Cappi ins Gesicht gezogen. Die Beleuchtung war zu hell für vier Uhr morgens. Wäre der Zug von Venedig nach Villach (Unterösterreich, auch bekannt als Kärnten) pünktlich gewesen, hätte ich schon seit Stunden tief und fest zurück zuhause in Leipzig schlafen können. Aber wie konnte ich von dem Verkehrsmittel, dass die Zukunft sein soll, Zuverlässigkeit erwarten? In dem Moment wollte ich mich aber nicht ärgern, ich strengte mich an, das Positive am Falafel-Wrap aus dem Nahrungsautomaten zu schmecken.
Zweieinhalb Wochen Italien lagen hinter mir. Ich durfte die zu besuchenden Orte auswählen, meine Reisebegleitung das Transportmittel. Ich trat aus dem Hauptbahnhof in Rom, die Wärme und Sonnenintensität erschlugen mich. Mein Pullover war schnell ausgezogen, die Sonnenbrille aufgesetzt. Mein Eindruck: So billig und oll wie das Gemüse in deutschen Supermärkten ist in Deutschland auch das Wetter. Aber das musste mich nicht mehr interessieren, ich war jetzt in der ewigen Stadt. Wow, was ist das denn bitte für ein cooler, historischer Brunnen! Aber spätestens nach den vatikanischen Museen dämmerte in mir die Einsicht, auf Dauer sehen die Köpfe der Statuen doch ähnlich aus. Oh, der hat auch Nase, Mund und zwei Augen.
In Italien muss man auch ans Meer. Gedacht, richtig billige Tickets für den ÖPNV gekauft und getan. Auf ging’s nach Lido di Ostia. Der Strand überzeugte nicht, dafür die Rückfahrt. Ich saß in der Bahn, schräg gegenüber eine etwas ältere Frau, die schon seit Minuten daran Gefallen gefunden hatte, auf zwei Teenager einzureden. Sie brüllt diese regelrecht an und fasst sich immer wieder an ihre eigene medizinische Gesichtsmaske. Die beiden Unmaskierten gaben nach und kramten etwas zur Mund-Nasen-Bedeckung hervor. Im Allgemeinen scheint in Italien eine größere Awareness für die Pandemie zu herrschen. In öffentlichen Verkehrsmitteln und Einrichtungen generell wurde der GreenPass (der europäische digitale Impfnachweis tat’s auch) intensiver als das entsprechende Ticket kontrolliert.
Ein weiteres Erlebnis der Zivilcourage eine Woche später in Florenz brachte Abwechslung ins Urlauben. An einem schönen Platz sitzend nahm ich am frühen Abend einen Aperitivo ein. Plötzlich sprangen Gäst*innen an den Nachbartischen auf und schrien „Basta! Basta!“ in Richtung der anderen Straßenseite. Für eine Schrecksekunde befürchtete ich schon, nun von Gerhard Schröder gestört worden zu sein. Dann drehte ich mich um und entdeckte die Ursache der allgemeinen Aufregung. Der Kellner eines am Platz ansässigen Lokals hob einen Stuhl in die Luft. Seinem Kontrahenten floss etwas Blut von der Stirn. Auch die eine Wange blutete stark. Einige Herbeigeeilte konnten die beiden trennen. Der Blutende umrundete den Platz, machte noch ein paar Fotos vom Stuhlschläger und zog sich dann in ein anderes Restaurant zurück, wo er versorgt wurde.
Interessant, wie nah Filmblut und -wunden an der Realität dran sind und es ist auch spannend, dass mir das bisher nicht bewusst war.
„Franz, hallo Franz!“, etwas unerwartet auf dem Markusplatz in Venedig. In diesem Moment hatte sich die Frage, ob Italien ein Land wäre, dass sich für mich zum Untertauchen eignen würde – falls ich mal die Notwendigkeit dazu sehen sollte – auch mit Nein beantwortet. Wer dort in einem der teuren Cafés in erster Reihe saß, waren Freund*innen aus Leipzig. Müde von den hohen verlangten Restaurantpreisen aßen wir Oliven und Brot auf der Kaimauer sitzend gemeinsam zu Abend und tauschten Urlaubsgeschichten aus.
Falls wer in einem Leipziger Supermarkt in Olivenöl eingelegte Oliven entdeckt, bitte gib mir Bescheid!
Fotos: Franz Hempel, Julia Nebel
Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.