Aus dem Leben eines Third Culture Kids
Ein Dasein als Ausländer*in. Kolumnistin Sanja erzählt davon, wie es war, auf drei verschiedenen Kontinenten aufzuwachsen.
Stell dir vor, deine Mutter kommt aus Uganda und aus Belgien, ist aber in Kanada aufgewachsen. Dein Vater kommt aus der Schweiz. Du selber hast in den USA, in Uganda, Zimbabwe und in Kanada gelebt. Wo ist dann deine Heimat? Der Begriff der Herkunft und der Heimat wird unpassend und abstrus angesichts solcher Lebensläufe. In einem Versuch der Selbstdefinition nennen sich solche Menschen „Third Culture Kids“. Sie wachsen eben nicht in ihrer eigenen Kultur oder in der ihrer Eltern auf, sondern in einer gänzlich Dritten. Meistens auch Vierten und Fünften. In einem weiteren Versuch der Selbstdefinition sehe ich mich als gemäßigtes Third Culture Kid. Zwar bin auch ich mehrere Jahre im Ausland aufgewachsen, aber anders als die vollblütigen Third Culture Kids, bin ich immer wieder zum selben Ort zurück geboomerangt.
Ein Leben als Expat ist ein Leben in einer Blase. Und es ist eine sehr schöne Blase. Voller Theaterabende, Schulsport und Ausflüge in aufregende Teile von Ländern, die viele als „exotisch“ beschreiben würden. Letztendlich ist es aber auch ein ganz normales Leben: Man geht zur Schule, macht seine Hausaufgaben, fängt zu früh an zu saufen und streitet sich mit seinen Geschwistern.
Als Kind kann man dennoch schnell ins Verwöhnte abdriften und sich darüber beschweren, dass man nicht schon wieder das Wochenende an einem Ressort am Strand verbringen möchte. Die Schwere der ganzen Thematik um einen herum, kann man noch nicht ganz greifen. Ich war als Kind ganz perplex, dass sri lankanische Kinder nicht von ihren Eltern zur Schule gebracht wurden. Und meine Lösung für den sri lankanischen Bürgerkrieg zwischen den Tamilen und den Singalesen war es, eine*n Ausländer*in an die Spitze der Regierung zu setzen. Wenn zwei sich streiten, freut sich der*die Dritte.
Bei meinem ersten Umzug war ich vier Jahre alt. Ich verstand damals nicht, warum meine Eltern am Flughafen so lange brauchten, um sich von allen zu verabschieden. Ziel der Reise war Sri Lanka. Und als ich in Colombo wieder aus dem Flugzeug ausstieg, sollten wir dort erst einmal vier Jahre lang bleiben. Meine ersten englischen Worte waren „Yes“, „No“ und „Gras“, weil Grass im Deutschen einfach genau gleich klingt. „Yes“ und „No“ habe ich dann alternierend benutzt bis ich eine, mir nun schwer zu umschreibende Zeit später, Englisch konnte. Denn auch das gehört zu Third Culture Kids dazu: Bilingualität, oft sogar Trilingualität. in den Gated Communities und ehemaligen kolonialen Häusern werden Sprachen wie in einem Eintopf miteinander vermanscht. Wenn meine Schwester und ich miteinander redeten, war jeder zweite Satz Deutsch und jeder dritte Satz Englisch. Wenn es ein passendes indonesisches Wort gab, wurde auch dieses verwendet. All dies sehr zum Ärgernis meiner Eltern, die eine puristischere Idee von Sprache hatten und haben.
Nebst allem begleitet viele Third Culture Kids ein subtiles Trauma durch das jahrelange Umziehen von Kontinent zu Kontinent. Durch das Leben, in dem Menschen kommen und gehen wie in einem Taubenschlag. Bei meinem dritten Länderumzug war ich 13. Bei einem Schulausflug in einen der monotonen hessischen Wälder fing ich an zu weinen. Ich hatte gerade meinen ersten Liebesbrief erhalten und in einem Monat sollte ich schon wieder in ein Flugzeug steigen. Es folgte ein Anruf meiner Lehrerin bei meinen Eltern: Ein Kind nach Afrika verfrachten, das könnten sie nicht machen. Sie taten es trotzdem. Ging auch nicht mehr anders. Die Arbeitsstelle war angenommen, die Flüge gebucht, der Schulplatz organisiert und die Wohnung gemietet. Diesmal zogen wir nach Uganda. Den 13-jährigen Tränen zum Trotz habe ich es dort geliebt. Wenn sich zwei Menschen in Uganda auf der Straße begegnen, wird sich immer gegrüßt: „Hello Nnyabo, how are you?“. Das ist das Erste woran ich denke, wenn ich an das Land denke und das ist auch etwas, was ich in Deutschland anfangs schmerzlichst vermisst habe.
Umziehen und Reisen ist bei Third Culture Kids in der DNA verwoben. Wir müssen ständig Zeitzonen ausrechnen, um Freunde in Singapur, den USA oder in Uganda anzurufen. Und obwohl es schön ist, Freunde in vielen Teilen der Erde zu haben, so gibt es doch viele Momente, da wünsche ich mir, dass diese Freunde eben in meinem Teil der Erde wären. Manche Menschen bleiben dem Expat Leben, dem Leben als Ausländer*in für immer Verfallen. Andere können sich vom Umziehen nicht mehr erholen und leben für immer nur noch an einem Ort. Es wird sich zeigen, zu welchem Schlag von Third Culture Kid ich gehöre.
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