Wie viel Realität ist nötig?
Kolumnistin Adefunmi glaubt, dass ethische Fragen zu genetischen Zukunftstechnologien mehr in der Gesellschaft diskutiert werden müssen. Dabei sieht sie Serien wie „Biohackers“ in der Verantwortung.
Meine Mama hasst es, Krankenhausserien anzuschauen. Das liegt vermutlich daran, dass sie Intensivkrankenschwester ist. „Wie kann es sein, dass diese Serien immer so realitätsfern sind?“, fragt sie jedes Mal entnervt. Und dabei geht es ihr nicht mal um unfaire Bezahlung oder Arbeitsbedingungen. Nie konnte ich das besser nachvollziehen als jetzt. Ausschlaggebend war die deutschen Netflix-Serie „Biohackers“. Es geht nicht um Krankenhäuser, sondern um Biologie. Ich studiere im dritten Mastersemester Biochemie und was die Protagonistin Mia da eigentlich im Labor macht, wird mir oft nicht ganz klar.
Aber von vorne, um was geht es eigentlich? Wenn ihr die Serie nicht schon gesehen habt: Mia startet in Freiburg ihr Medizinstudium. Doch ihr Fokus liegt vor allem darauf, die Exzellenz-Biologieprofessorin Tanja Lorenz zu imponieren, von der man den Eindruck bekommt, sie wäre der Steve Jobs der Synthetischen Biologie.
Synthetische Biologie – das ist die Schnittstelle von Molekularbiologie, Chemie und Ingenieurwissenschaften. Sie versucht Bausteine zu entwickeln, die Lebewesen neue Eigenschaften geben oder aus denen ein ganz neuer Organismus entwickelt werden kann. Relevant ist das nicht nur, wie in der Serie dargestellt, für die humane medizinische Forschung, sondern hat auch industriellen Nutzen. Beispielsweise indem man einen Minimalorganismus entwickelt, der höchst effizient eine chemische Substanz produzieren kann, ohne Energie in weitere Stoffwechselwege zu verschwenden.
Aber zurück zu Mia. Bereits in den ersten Minuten wird klar, dass ihr Interesse an Lorenz einer persönlichen, dunklen Historie geschuldet ist und in Zusammenhang zu ihrem toten Zwillingsbruder steht. Spoiler Alert: Er starb aufgrund von illegalen Genexperimenten.
Ich bin der festen Überzeugung, dass Gentechnik ein wichtiges Thema ist, dass es in der Breite der Gesellschaft zu diskutieren gilt. Versuche an Menschen liegen nicht nur in der Vergangenheit wie der NS-Zeit. Erst 2018 gab der chinesische Biophysiker He Jiankui bekannt, dass er das Genom von Zwillingen so verändert habe, dass diese immun gegenüber einer HIV-Infektion seien. Das war nicht nur auch in China illegal, sondern meiner Meinung allgemein ethisch unvertretbar. Solche Versuche an Menschen stellen immer eine Verletzung der Menschenwürde dar. Es ist mehr als fahrlässig, Menschen genetisch zu verändern, ohne sich aller Folgen bewusst zu sein. So haben Forscher*innen herausgefunden, dass die vorgenommene Genveränderung, die zum Verlust eines Proteins führte, mit einer verkürzten Lebenserwartung einhergeht, weil das Protein wohl doch noch andere Funktionen hat.
Die Thematik der Serie ist also höchst relevant, aber die Umsetzung konnte mich nicht abholen. Vielleicht ist es Mias Jagd auf Professorin Lorenz geschuldet, dass sie, obwohl sie frisch nach dem Abi in eine neue Stadt gezogen ist, nie zweifelt und kaum versucht, Kontakte innerhalb ihres Studiums zu knüpfen. Vielleicht lernt sie deshalb wie ein Roboter am Abend ihres ersten Vorlesungstages und scheint sowieso ihren Mitstudierenden weit voraus zu sein, kennt aber gleichzeitig die einfachsten Laborregeln bezüglich des Konsums von Lebensmitteln und Umgang mit genetischen Materialien nicht.
Egal, mit wie viel Vorwissen wäre Mia an Tag zwei ihres Studiums niemals im Labor und würde mir nichts dir nichts fluoreszierende Bakterien synthetisieren. Aussagen, dass es viel schwieriger sei, Bakterien pink statt grün fluoreszieren zu lassen, stimmen so nicht. Auch die ganze Experimentierprozedur ist unrealistisch, insbesondere was den zeitlichen Verlauf angeht. Biologie geht Hand in Hand mit der Natur, deshalb braucht sie ihre Zeit. Nicht umsonst ist einer der häufigsten Arbeitsschritte im Labor: inkubieren. Das heißt eigentlich nur, lass dein Experiment stehen, warte und lass die Natur mal machen. Bloß ist das in Serien nicht so spannend darzustellen.
Ich glaube es ist wichtig, solche Serien in Kontext zur Realität zu setzen. Es ist wichtig zu wissen, was möglich ist und was nicht, denn ja: Grün fluoreszierende Mäuse sind keine Science-Fiction, phosphoreszieren tun sie aber nicht. Das heißt: Sie können durch Licht angeregt werden, zu leuchten, aber sind keine Glühlampen im Dunkeln der Nacht. Während die erste Sequenzierung des humanen Genoms ein Projekt von über einem Jahrzehnt war, dauert der Prozess heute gerade mal einen Tag und genetische Codes können relativ schnell im Labor gebaut werden. Wenn Lorenz in der Serie sagt, dass Synthetische Biologie Menschen zu Schöpfern mache und das unsere Zukunft sei, dann hat sie irgendwo recht. Geht es darum, Krankheiten zu heilen oder in Zukunft Organismen für eine bestimmte Produktion zuzuschneiden, wird Gentechnik und ihresgleichen eine wichtige Rolle spielen.
Das wird das next big thing. Deshalb ist unglaublich wichtig, über Gentechnik zu reden. Nicht umsonst stecken große Techunternehmen wie Google, Facebook und Amazon Milliarden in diese Forschung. Lasst es uns besser machen als mit der Digitalisierung. Deshalb ist es wichtig, Datenschutz und rechtliche Rahmenbedingungen festzulegen, um uns Menschen vor Missbrauch zu schützen. Es ist wichtig zu diskutieren, welche Fortschritte Gentherapien für unsere Medizin und Gesundheit bedeuten können. Es ist wichtig, einen ethischen Konsens zu finden, wie und ob wir mit genetisch veränderten Pflanzen in der Landwirtschaft umgehen wollen. Und wir müssen darüber reden, dass wir solche Produkte nicht als vermeintliche Hilfen dem Globalen Süden geben, der Pflanzen mit veränderten Eigenschaften angeblich aufgrund von Armut bräuchte, wenn Armut eigentlich ein strukturelles Problem ist, auf das man keine Technik werfen sollte.
Ich könnte jetzt eine lange Liste führen, was alles in dieser Serie nicht der wissenschaftlichen Praxis entspricht. Aber dass Serien und Filme nicht realistisch sind, damit haben wohl einige Berufsgruppen zu kämpfen, die Klassiker sind Ärzt*innen, Anwält*innen und auch Informatiker*innen. Fiktive Elemente machen den Reiz aus, aber es ist gefährlich, sie als Realität zu verkaufen. Ich sehe Produktionen hier in der Verantwortung, Technologien im richtigen Kontext zu diskutieren. Durch mein Studium kenne ich Forschungsinhalte und welche Chancen sie bieten. Aber auch hier kommt die ethische Aufarbeitung oft zu kurz. Zumindest hat die Serie mir die Notwendigkeit der Debatte vor Augen geführt. Gerade jetzt sehen wir, wie viel Falschinformationen zur Biologie und medizinischen Forschung im Rahmen von Corona existieren. Dagegen hilft nur Bildung und eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit unserer Zukunft. Und falls du dich mal wieder fragst, warum du eigentlich in der Schule lernst, wie eine Zelle funktioniert, wenn du das in deiner Zukunft doch gar nicht brauchst. Dann sage ich dir: Damit du auch einen Platz am Tisch bekommst und mitdiskutieren kannst, wenn Forschungsergebnisse auch immer wieder dich betreffen werden.
Teaserfoto: Pixabay
Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.