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„The First 54 Years - An Abbreviated Manual for Military Occupation“ von Avi Mograbi zeigt Dokumentationen der Realität und die Absurdität der militärischen Besatzung im Zuge des Nahostkonflikts.
„Lasst uns beginnen“, spricht Regisseur und Filmemacher des Dokumentarfilms „The First 54 Years – An Abbreviated Manual for Military Occupation“, Avi Mograbi, eindringlich in die Kamera. Mit weißem Bart und Zigarette in der Hand sitzt er in einem Sessel, Wohnzimmeratmosphäre. Fast als wäre die großväterliche Erzählrunde angebrochen, beginnt er. Im Film inszeniert sich der Regisseur selbst als Erzähler und navigiert die Zuschauenden so durch den Film. Mograbis Statement dazu im Nachgespräch: „Der Experte versucht euch durch ein paar Grundsätze einer militärischen Besatzung zu führen, das muss auch nicht unbedingt die israelische Besetzung sein. Einfach irgendeine.“ Er habe den Film für die breite Masse zugänglich machen wollen und nicht nur für Expert*innen des Themas. Und tatsächlich ist diese Methode, sein eigenes Auftreten als Hauptdarsteller, zu seinem charakteristischen Erzählstil und Fingerabdruck geworden.
Der 110 Minuten lange Dokumentarfilm läuft im Rahmen des Dok Leipzig und ist eine Collage aus Zeugenberichten und Archivmaterial, gesammelt von der 2004 gegründeten NGO Breaking the Silence, die sich für eine Zweistaatenregelung einsetzt. Die politische Nichtregierungsorganisation von ehemaligen und aktiven Soldaten verfolgt das Ziel mit den Zeugenberichten die israelische Öffentlichkeit von den herrschenden Zuständen aufzuklären. Dieses Material, zusammengehalten durch Mograbi als Navigator wird in chronologischer Reihenfolge die Geschichte der militärischen Besatzung der palästinensischen Gebiete im Westjordanland und im Gazastreifen durch das israelische Militär erzählt, beginnend nach dem Sechstagekrieg 1967 bis heute. Die israelischen, ausschließlich männlichen, Veteranen berichten nüchtern und emotionslos über ihre Taten und über den Alltag in den von Israelis besetzen Gebieten. Gestützt werden die Interviews noch durch Originalaufnahmen und Handyvideos.
Im Film wird auf eine seltsam ironische Art die Thematik Nahostkonflikt geöffnet und der Fokus auf das Systematische einer militärischen Besatzung statt auf den Konflikt überhaupt gelegt. Darauf zielt auch der Titel des Filmes schon ab: „Ein kurzes Handbuch für militärische Besatzung.“ Die Normalität und der unvorstellbare Alltag, die Lebensverhältnisse sind das Thema. Ein Veteran erzählt davon, wie einmal er einen palästinensischen Autofahrer willkürlich eine ganze Nacht an einen Baum gefesselt habe, der sei morgens wieder in sein Auto gestiegen und weitergefahren. Auf einigen Handyvideos der Soldaten sind auch Kinder zu sehen, Bilder, die auch nach Verlassen des Kinosaals noch präsent sein werden.
Trotz dieser teils sehr grausamen Schilderungen schafft es Mograbi, eine nicht zu wertende Position mit dem Film einzunehmen. Er geht trocken an die Sachlage heran. Vielleicht ist es grade dieser Widerspruch, der im Zuschauerraum immer wieder zu entgeistertem Kopfschütteln führt. Er verzichtet auf künstlich provozierte Emotion und auf musikalische Untermalung. Nur in der letzten Sequenz verwendet er ein sehr prägnantes Bild. Ein Handyvideo von Soldaten, die ein Haus sprengen. Man hört sie lachen und sich freuen, wie schön das sei.
Fotos: DOK Leipzig 2021 / The First 54 Years – An Abbreviated Manual for Military Occupation (Regie: Avi Mograbi)
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