Liebe als Sache des Strafgesetzbuches
„Große Freiheit“ erzählt die Geschichte von Hans (Franz Rogowski), der im Nachkriegsdeutschland lebt, in einer Welt, in der Männer alles dürfen, außer einander zu lieben.
Der Film beginnt mit Überwachungsaufnahmen von einer Herrentoilette, der „Klappe“, auf der Hans sich mit Männern zum Sex traf. Die Aufnahmen werden während eines Strafprozesses gegen ihn als Beweis vorgeführt. Denn der §175 stellt in der jungen BRD noch immer sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Und so wird Hans, der während der Zeit des Nationalsozialismus im Konzentrationslager gefangen gehalten wurde, nach der Kapitulation in ein Gefängnis der Alliierten überstellt. Im Lauf des Films sehen wir Hans, wie er immer wieder im Gefängnis landet. Wirkt er während der ersten Haft in der BRD noch zutiefst erschüttert und traumatisiert, wird er mit jedem Mal routinierter und scheint sich in sein Schicksal zu fügen. Er will sich nicht selbst verleugnen und findet sich damit ab, dass sich das Leben für ihn Großteils hinter Gitterstäben abspielen wird. Innerhalb der Mauern finden sein Sozialleben, seine Arbeit und hin und wieder auch sein Liebesleben statt. Er trifft dort aber auch immer wieder auf andere „175er“, die er von draußen kennt, und die sich weniger der Situation fügen können als er es kann.
Beinahe der gesamte Film spielt sich innerhalb von Gefängnismauern ab. Das Einzige, was sich ändert, sind die Farben der Wände und die Frisuren von Hans und seinen Mithäftlingen im Lauf der Jahrzehnte. Die größte Konstante in Hans´ Leben ist neben Gitterstäben und Zigaretten sein Mithäftling Viktor (Georg Friedrich). Während der ersten Haft waren die beiden Zellengenossen und zwischen dem Anfangs gewalttätig und ablehnend reagierenden Viktor und ihm entwickelt sich mit der Zeit eine zunächst freundschaftliche, später auch sexuelle Beziehung. Sie geben sich gegenseitig Halt. Viktor übersticht Hans´ Häftlingsnummer aus dem KZ und Hans unterstützt Viktor viele Jahre später bei dessen kaltem Entzug.
Die Szenen sind hauptsächlich bedrückend, durch Grau, wenig Licht oder komplette Dunkelheit bestimmt. Hans´ Erinnerungen sind die wenigen bunten Szenen innerhalb des Films, die umso mehr herausstechen und vielleicht erklären können, wieso Hans nicht versteckt in Freiheit leben möchte, sondern sich selbst offen ausleben muss und dafür auch Haft in Kauf nimmt. „Große Freiheit“ ist ein trostloser Film, der aber auch immer wieder auf starke Weise die Solidarität und Freundschaft zwischen Inhaftierten zeigt.
Bei der Premiere während der Filmfestspiele in Cannes, wurde „Große Freiheit“ bereits mit dem Jurypreis in der Kategorie „Un Certain Regard“ ausgezeichnet. Aber auch ohne diese offizielle Bestätigung wäre die Bedeutsamkeit des Films nicht zu leugnen. Was im heutigen Deutschland undenkbar scheint, war für 123 Jahre durch den §175 gesetzlich fundierte Legitimation für die Verfolgung unzähliger Personen und ist auch im Jahr 2021 immer noch und zunehmend wieder in vielen Teilen der Welt die Lebensrealität queerer Personen, die versteckt und in Angst oder Selbstverleugnung leben müssen.
Leichte Unterhaltung ist die Geschichte von Hans definitiv nicht. Sie ist schmerzhaft und nach dem Ende des Films wird sicher niemand das Kino verlassen, ohne weiter darüber nachzudenken, was er*sie da gerade gesehen hat. Und das macht die Wichtigkeit und Stärke des Films aus: Er lässt einen nicht kalt, man wird hineingezogen in ein Leben, dass vielen von uns, dank unserer privilegierten Position unvorstellbar scheint.
„Große Freiheit“ ist ein großartiger Spielfilm, und gleichzeitig Zeugnis für das Schicksal unzähliger homosexueller Männer, die von 1872 bis 1994 durch den §175 systematisch verfolgt, eingesperrt und getötet wurden. Und auf diesen beiden Ebenen verdient der Film unbedingte Anerkennung und sollte geschaut, besprochen und als Erinnerung daran genutzt werden, dass wir alle aktiv verhindern müssen, dass in unserer Gesellschaft jemals wieder Menschen aufgrund ihrer bloßen Existenz ausgegrenzt, verfolgt und eingesperrt werden.
Fotos: Freibeuterfilm
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