„Das was die Fans am Verein nostalgisch feiern, ist auch die Frauenmannschaft von 1987“
Eine Projektgruppe der BSG Chemie Leipzig arbeitet die Historie ihrer DDR-Frauenmannschaften auf.
100 Jahre ist der Alfred-Kunze-Sportpark der BSG Chemie Leipzig nun alt. Zur Feier dieses Ereignisses soll eine Chronik zur Stadiongeschichte entstehen, mit allem, was dazugehört: Fans, Mannschaften, Verein, Siegen und Niederlagen. Solche Chroniken gab es schon häufiger, doch spielten die Frauenmannschaften von 1968 bis 1987 in ihnen kaum eine Rolle.
Das soll diesmal anders laufen und Frauen im Fußball mehr Achtung entgegengebracht werden. Doch stellte sich heraus, dass es viel mehr über sie zu berichten gab als anfangs angenommen. „Um den Internationalen Frauentag 2021 haben wir dann den Aufruf über diverse soziale Netzwerke gestartet, dass sich Frauen bei uns melden können, um gehört zu werden“, sagt Nicci, Teil des Projekts und Fan der BSG. „So hat eigentlich alles begonnen.“ Seitdem arbeiten die Mitglieder des Projekts Fußball-Geschichten – Mädchen und Frauen in der Fankultur und im Verein BSG Chemie Leipzig akribisch an der Aufarbeitung dieses Teils der Vereinsgeschichte.
Verschiedene Arbeitsgruppen bildeten sich, Kontakte wurden hergestellt, alte Fotoalben und Listen durchforstet. „Es ist wie eine kleine Schatzsuche“, erklärt Daniel, ebenfalls Projektmitglied und Fan, „es kommen immer mehr Puzzlestücke hinzu, die wir versuchen, in ein großes Bild zusammenzusetzen.“ Zwar steht das Projekt nach eigenen Angaben erst am Anfang, doch wird das Bild jetzt schon immer größer. So groß, dass das Projekt von Buch über Podcasts hin zu Podiumsdiskussionen ausgeweitet wurde und sicher noch 2022 weitergeführt wird. Zu viel gibt es zu erzählen, von Frauen, die Minijobs wie das Putzen der Tribüne im Verein übernahmen, um die Reisekosten zu den Spielen zahlen zu können. Oder von anderen, die Spiele organisierten, meist auf Sportfesten zeitlich vor denen der Männer, denn eine offizielle Liga gab es anfangs nicht. Doch nicht nur Spielerinnen von damals, sondern auch Fans und Beteiligte kommen zu Wort.
„In der DDR gab es schon die Akzeptanz für Frauenfußball,“ stellt Nicci fest, „nur unterstützt wurde dieser nicht sonderlich.“ Das möchte das Projekt nun ändern und Frauen in der Geschichte und der Struktur des Vereins sichtbar machen. Auch wenn die alten Spielerinnen erst mit Verwunderung auf das Projekt reagierten, wurde nach einiger Zeit mit Begeisterung aufgenommen. „Aus dem Rückblick versuchen wir, nach vorne zu gehen“, erläutert Nicci weiter, „wir versuchen den Fußball damit emanzipatorischer zu gestalten und das Bewusstsein der Frauenmannschaft in den Vordergrund zu schieben.“
Auch gibt es den Rückhalt der Fankurve und des Vereins für das Projekt. Viele wussten gar nichts über die Frauenmannschaften der 70er und 80er Jahre und auch aktuell gibt es keine Frauenmannschaft. Das läge vor allem an der relativ kurzen Historie des Immer-Noch-Amateurvereins BSG Chemie Leipzig, erzählen Nicci und Daniel. Tatsächlich gründete sich der Verein erst 1997 neu und hätte vor allem anfangs mehr mit dem Aufbau der Struktur und der Männermannschaften zu tun gehabt als mit denen der Frauen. Momentan ist aber genug Zeit und Aufholbedarf, denn ähnliche Projekte und Vorbilder gibt es bereits bei anderen Vereinen. Ein Beispiel ist der Lotte Specht e.V. von Eintracht Frankfurt, eine Erinnerung an die erste Frauenmannschaft Deutschlands. Nun wird auch bei der BSG Raum für ein solches Projekt gegeben. Gerade auch weil es bei den Fans ein Interesse dafür gibt und sich viele Menschen ehrenamtlich dafür einsetzen.
Zwar durften die Mannschaften damals nicht auf dem heiligen Rasenplatz spielen, sondern mussten sich mit den Schotterplätzen zufriedengeben. Doch trotzdem ist klar: Frauen sind ein Teil der deutschen Fußballkultur gewesen, ob in West-Deutschland oder der DDR. Titel wie Bezirksmeisterschaften werden auch im Schlamm gewonnen. Das Problem war nur, dass dieser Teil noch nicht besonders sichtbar gestaltet wurde. „‚Haltet die BSG in Ehren, dass sie niemals untergeht‘, so lautet der Leitspruch der Fankurve,“ erklärt Daniel, „doch wenn man dem folgt, so dürfen die Frauenmannschaften auch nicht vergessen werden. Das, was die Fans am Verein nostalgisch feiern, ist auch die Frauenmannschaft von 1987.“ „Die Mannschaften gehören zur Vereinskultur“, ergänzt Nicci. Vielleicht wird es demnächst auch wieder eine Frauenmannschaft bei der BSG Chemie Leipzig geben, die von damals wird jedoch so bald nicht mehr vergessen werden.
Fotos: BSG Chemie Leipzig
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