Vom Gefühl, nicht gehört zu werden
An der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig beschweren sich Studierende über sexistische Lehrbeispiele und ignorante Dozenten. Sie sind nicht die ersten.
Luise baut ihr eigenes Unternehmen auf. Ein Reisebüro. Ihr erster Kunde fragt sie, ob sie nicht mit ihm zusammen in den Urlaub fliegen möchte. Luise fliegt mit und gibt ihr Unternehmen auf, denn sie hat den Mann geheiratet und will sich voll und ganz auf den Haushalt konzentrieren.“ Mit einem gequälten Lächeln beschreibt Ana* die Situation, bei der es sich nicht etwa um den Plot eines 60er-Jahre-Liebesfilms, sondern um ein Lehrbeispiel handelt. Ana studiert an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK). In ihrem zweiten Semester sah sie sich mit Lehrinhalten konfrontiert, die sie selbst als antiquiert, sexistisch und stereotypisch charakterisiert. So auch das Beispiel zu Luise: „Ich habe gemerkt, wie es in mir brodelt, aber ich konnte das im ersten Moment überhaupt nicht formulieren. In der Online-Lehre gab es kein Raunen oder Stühlerücken, nur abgeschaltete Kameras und Stille.“
Muster der Ignoranz
Ana wandte sich an das Qualitätsmanagement der HTWK, wo man über ein Online-Formular anonym Feedback geben kann. In der folgenden Vorlesung habe sie ihrem Professor gesagt, dass sie das Beispiel ganz schön antiquiert fand. Der habe aber kein Verständnis gezeigt: „Das Beispiel entsprach seiner Meinung nach der Realität”, erzählt Ana. Für sie gab es ein Muster: „Die Frauen scheitern oder sind Ehefrauen-Beiwerk und die Männer führen die tollen gewinnbringenden Unternehmen.“ Dabei scheint es, als ende dieses Problem nicht bei einem Professor. Ana erzählt von einem anderen Seminar, bei dem es um charismatische Führungspersonen ging. Ein weibliches Beispiel sei dem Professor nicht eingefallen. „Er hat Barack Obama aufgezählt, aber auf Michelle Obama ist er nicht gekommen“, sagt sie. Ihre Stimme bekommt einen kämpferischen Unterton: „Unser Studiengang besteht zum Großteil aus Frauen, davon haben einige sicher Führungsambitionen. Ich finde es unmöglich, dass uns statt erfolgreicher Businessfrauen noch immer solche Beispiele vorgesetzt werden.“
Schon vor Anas Zeit gab es an der Fakultät Beschwerden zu sexistischer Lehre. Selina*, Alumni des Masterstudiengangs General Management, erinnert sich an eine Diskussion besonders deutlich: „Einer unserer Profs meinte, man könne Führungspositionen nicht mit Frauen besetzen – wegen der Stutenbissigkeit. Da haben wir uns natürlich vehement gewehrt.“ Aber auch dieser Professor habe keine Einsicht gezeigt und die Studierenden schließlich an den Studierendenrat (Stura) verwiesen. Selina, inzwischen Junior Consultant bei einer Unternehmensberatung, hat von 2018 bis 2020 an der HTWK studiert. Sie berichtet, dass nach diesem und anderen Vorfällen mithilfe des Sturas Gespräche zwischen Studierenden und Professoren organisiert wurden. Aber auch da hätten die Lehrenden wenig Einsicht gezeigt.
Jahre der Beschwerden
„Die Termine wurden teils früher beendet, weil der Professor einen Anruf bekommen und den Raum verlassen hat.“ Jonas Böttger vom Fachschaftsrat Wirtschaftswissenschaften und Wirtschaftsingenieurwesen (FSR WiWi) berichtet, dass Studierende im Sommersemester 2021 eine offizielle Beschwerde eingereicht hätten. „Die Lehrkraft wurde vom Dekanat gerügt und ihr wurde nahe gelegt, an einem Workshop zu gendergerechter Sprache teilzunehmen.“
Lyubomyr Tartakovskyy, Sprecher des Sturas, kennt diese Probleme gut: „Aus den Wirtschaftswissenschaften gibt es regelmäßig Beschwerden.“ Er weiß aber auch, dass es solche Probleme nicht nur an dieser Fakultät gibt. Auch an der sozialwissenschaftlichen Fakultät lehre ein Professor, über den sich Studierende schon seit mehr als zehn Jahren regelmäßig beschweren. Das zeigten alte Protokolle der Fachschaftsräte. Auch der aktuelle FSR der Sozialwissenschaften protokolliert die Äußerungen des Professors. In diesem Protokoll, das der Redaktion vorliegt, sammeln sich Aussagen, die sich als sexistisch, heteronormativ, eurozentristisch und rassistisch klassifizieren lassen.
Der gemeinte Professor, nennen wir ihn Jahnke*, lehrt schon über ein Jahrzehnt an der HTWK. Auch Lara* hat eine Vorlesung bei ihm. Sie studiert seit Oktober Soziale Arbeit. Lara sagt, wenn sie nicht so Bock auf den Job hätte, hätte sie ihr Studium vielleicht schon an den Nagel gehängt – wegen Jahnke. „In der ersten Vorlesung hat er gesagt, er halte das Intelligenzniveau in diesem Kurs für hoch genug, dass sich alle unter dem generischen Maskulinum einbegriffen fühlen.“ Lara lacht ungläubig. „Da haben sich dann eben einige von uns als intelligenzgemindert geoutet. War ihm egal.“ Auch Triggerwarnungen vor sensiblen Themen wie Suizid lehne Jahnke ab. Dass Lara und ihre Kommiliton*innen sich darüber bei der Gleichstellungsbeauftragten beschwert haben, sieht Jahnke als „Affront“. Auf einer Folie stellt er klar, dass er weiterhin nicht gendern werde und die Vorlesung keine Selbsthilfegruppe sei.
Lara und ihre Kommiliton*innen sind nicht die ersten Erstis, die sich über Jahnke beschweren. „Das war letztes Jahr auch so“, sagt Marie, die schon länger Soziale Arbeit studiert und sich an der Hochschule engagiert. In einem kleinen Café im Leipziger Zentrum erzählt sie von diesem Professor, der gendersensible Sprache als Sprachvergewaltigung betitele und schon das N-Wort in den Mund genommen habe.
Freiheit der Lehre
„Man fühlt sich in seinen Veranstaltungen vom ersten Moment an unwohl – nicht gesehen und ausgeschlossen. Die Erstis kommen dann zum FSR und fragen, wie sie in diesem Seminar existieren sollen.“ Laut Marie habe Jahnke zudem die problematische Tendenz, Studierenden, die ihn kritisieren, eine persönliche Betroffenheit zu unterstellen und ihnen auf übergriffige Art und Weise „Hilfe“ anzubieten. Zudem unterbreche er Studierende, wenn ihm nicht passe, was diese sagen und blocke so jeden Diskurs ab. Er selbst sage dagegen, dass er sich das Denken nicht verbieten lasse. „Neurechte Rhetorik“, kommentiert Marie. Das Protokoll des FSR listet weitere Problematiken auf: So mache Jahnke nur unzureichend Quellenangaben und stelle Themen wie Aids und Asexualität falsch oder verkürzt da. Mit dem Unmut der Studierenden konfrontiert, beruft sich Jahnke zum Thema Gendern in einer schriftlichen Stellungnahme auf die deutschen Rechtschreibregeln: „Die korrekte Benutzung der Sprache bedarf keiner Rechtfertigung.” Er benenne zur Verständlichkeit seiner Inhalte meist nicht „beide Geschlechter“. Darüber hinaus wollte Jahnke sich nicht äußern.
Laut Stura seien den Dekanaten und dem Rektorat die beschriebenen Fälle – und vor allem ihr wiederholtes Auftreten – bekannt. Warum passiert also nichts? Ein Grund ist vermutlich die Freiheit der Lehre, die im Hochschulfreiheitsgesetz festgeschrieben ist. Demnach können Hochschullehrer*innen die Lehrveranstaltungen inhaltlich und methodisch frei gestalten und ihre wissenschaftliche und künstlerische Lehrmeinung frei äußern. Als Art der Redefreiheit ist die Lehrfreiheit damit besonders weitreichend. Deswegen müssen Professor*innen auch erheblich gegen ihre Dienstpflichten als Beamte verstoßen haben, um entlassen zu werden.
Tartakovskyy sieht hier ein strukturelles Problem: „Es sind vereinzelte Profs, die Probleme machen. Aber dass man nichts dagegen tun kann – das ist ein strukturelles Problem. Seit über zehn Jahren ist nichts passiert. Irgendwie wird es immer wieder unter den Teppich gekehrt.“ Die Pressesprecherin der HTWK betont indes, dass diskriminierende und sexistische Äußerungen oder Handlungen an der HTWK Leipzig keinen Platz haben, und verweist auf verschiedene Anlaufstellen für Studierende, unter anderem die Gleichstellungsbeauftragten, das Feedback-Management und das Dezernat Studienangelegenheiten. Auch einen Anti-Diskriminierungsleitfaden soll es bald geben. Böttger erklärt, dass das Dekanat der Wirtschaftswissenschaften sehr verständnisvoll auf studentische Probleme reagiere: „Der Dekan versucht stets, die ihm an= vertrauten Probleme im Rahmen seiner Möglichkeiten zu lösen.“
Dem gegenüber stehen Studierende der sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten, Stura- und FSR-Angehörige, die das Gefühl haben, dass nichts getan wird und fordern, dass sich etwas ändert. „Wir haben das Gefühl, wir werden nicht gehört“, sagt Lara. Sie und ihre Kommiliton*innen haben ein Komitee gegründet. Sie sprechen davon, Demos zu organisieren und einzelne Lehrveranstaltungen zu boykottieren. Ana geht es letztlich um Inhalte, nicht darum, Einzelpersonen zu kritisieren: „Ich möchte, dass Frauen im Studium gesehen werden. Für mich ist erschreckend, dass es an einer Hochschule, die sich Weltoffenheit und Gleichberechtigung auf die Fahne schreibt, derartige Fallstricke für uns Student*innen gibt.“
*Hier wurden die Namen geändert, um die betreffende Person zu schützen. Die Klarnamen liegen der Redaktion vor.
Foto: Swen Reichhold, HTWK
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