Vielleicht bringt ja Dumbledore in 50 Jahren die Geschenke
Traditionen bleibt Traditionen vor allem an Weihnachten. Was das für Kolumnist Janes bedeutet und wie sie sich vielleicht entwickeln, beschreibt er in dieser Kolumne.
„Nächster Halt: Weihnachtsfest. Der Ausstieg ist in Fahrtrichtung links.“ So oder so ähnlich klingt es, wenn ich in meine Heimat fahre, um meine Familie über die Festtage zu besuchen. Schließlich gibt es einen Anlass zu feiern, Jesus Christus wird 2021. Also sollte er eigentlich, hätte sich vor geraumer Zeit ein Mönch nicht vertan und die Geburt Christi falsch berechnet. Egal, meine Familie ist auch eher so pseudo-kirchlich, bei uns kommt schließlich der Weihnachtsmann und nicht das Christkind oder das Weihnachtskindli, wie in der Schweiz.
Noch heute wird die Geschichte erzählt, dass mein Vater den echten Weihnachtsmann mit weißem Rauschebart besucht hat, damals in Finnland. Dieser fährt Ski und in Australien Surfboard. Aber sind wir mal ehrlich: Ein alter, weißer Mann, der mit Wichteln lebt und dich „watched when your are sleeping“, ist schon ein wenig kritisch. Auch versprüht er Dumbledore-Vibes nur mit eindeutig weniger Stil und taucht ungefragt einfach so in Kaminen auf wie Harry in der Nokturngasse. Ich habe auch mal auf seinem Schoß gesessen, jedes Jahr brav meinen Brief geschrieben und ihm gedankt, wenn die Playmobil-Feuerwehr unter dem Tannenbaum lag. Tannenbäume sind auch so eine Sache. Jedes Jahr der Streit, ob er noch angemessen sei in Zeiten der Klima-Krise. Ich plädiere für nein, meine Schwester für ja und wer jüngere Geschwister hat, weiß, wie diese Streitigkeiten vor Eltern enden. Also dieses Jahr wieder Weihnachtsbaum, mit echten Kerzen. Für die Gemütlichkeit, wenn es draußen schneit.
Problem: Bei uns in Lübeck schneit es nie, weiße Weihnacht ist hier ein Fremdwort. Es gibt höchstens Regen und den literweise. Das macht den traditionellen Spaziergang nach dem Weihnachtsschmaus dennoch nicht kaputt. Auch andere Tradition gibt es viele, zum Beispiel bin ich als Kind halb verrückt geworden, dass die Bescherung erst nach dem alljährlichen Kartenturnier kam. „Eine Runde Rommé“ klingt nicht schlimm, außer wenn „eine Runde“ mit 10 Mitspieler*innen sich gute 60 Minuten zieht. Für mich war das die Hölle. In Retroperspektive muss ich die Hölle für meine Eltern gewesen sein.
Seitdem ich nicht mehr geschenkesüchtig bin, wünsche ich mir nur nicht zu sehr zuzunehmen bei dem ständigen Essen. Klassisch norddeutsch gibt es bei uns Grünkohl und Kartoffelsalat mit Würstchen. Zwischendurch aber Orangen, Nüsse, Kuchen, Kekse oder Schokolade verpackt in Tüten, die mir verdächtig ähnlich nach denen in Harry Potter aussehen. So Ende ich häufig bewegungsunfähig mit der Familie auf dem Sofa bei „Drei Nüsse für Aschenbrödel“. Da muss ich (sollte es eine Neuverfilmung geben), unbedingt eine Rolle bekommen. So textsicher wie ich bin, spiele ich gleich alle Charaktere und sing die Musik a cappella. Wer die Geschichte nicht kennt, es geht um eine zerrüttete Familienkonstellation mit einem verwöhnten Kind und einem ausgestoßenen, das aber heimlich Fähigkeiten wie Armbrustschießen beherrscht und mit Tieren kommuniziert. Nebenbei geht es um Zaubernüsse. Klingt vertraut? Erinnert mich sehr an Harry Potter. Langsam bekomme ich das Gefühl, Weihnachten ist in Wirklichkeit Vorlage für diese Buchreihe.
Ich jedenfalls liebe Weihnachten mit der Familie. Traditionen gehören dazu, wenn ich nachhause fahre. Sie lassen mich mit Vorfreude auf die kommende Zeit blicken, denn ich bin mir sicher was kommt und dennoch gespannt. Es ist ein Ankommen und Entdecken, ob ich immer noch genauso denke und fühle wie vor 16 Jahren. Auch wenn diese sehr kräftezehrend ist, ist es so eine besondere Zeit. Die Besonderheit merkt man zuletzt an den komischen Öffnungszeiten für Supermärkte. Alles baut sich auf über Wochen und Tage auf, um am Ende Rewe um 14:00 Uhr schließen zu sehen. Immer beginnen die gleichen Traditionen jedes Jahr aufs Neue. Ich frag mich wann und wie sich diese Traditionen wandeln, denn wer weiß, vielleicht bringt ja in 50 Jahren Dumbledore die Geschenke. Vielleicht können dann Schoko-Frösche springen und wir reisen durch Kamine. Wenn das passiert, möchte ich aber etwas Spannenderes als eine Playmobil-Feuerwehr zu Weihnachten.
Foto: Privat
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