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  • Die Suche nach der eigenen Sprache

    Lyrik ist nicht loszuwerden. Im Laden nicht, was ihre scheinbare Bedeutungslosigkeit aufzeigt und als Dichter*in auch nicht, weil sie hartnäckig und eben doch bedeutsam ist, findet Kolumnistin Laura.

    „Wie klingt deine eigene Stimme? Wie klingst du selbst? Nicht beim Einkaufen oder am Bankschalter, nicht im Bus oder am Telefon – da klingt jeder gleich. Wie aber würdest Du klingen, wenn du von deinen Erfahrungen sprächest, von deinem Denken, Erinnern und Erleben?“ Vor Kurzem habe ich diese Fragen in Pascal Merciers Buch „Das Gewicht der Worte“ gefunden, obwohl ich sie nicht gesucht habe. Oder vielleicht doch. Aber warum musste ich beim Lesen plötzlich innehalten?

    Mercier scheint einen Unterschied zu betonen, der mich schon lange beschäftigt: den zwischen Alltagssprache und geschriebenem Wort oder auch Literatur. Bei Literatur geht es nicht darum, besonders verständlich mitzuteilen, was ich zu tun gedenke, von meinem Gegenüber erwarte oder dass ich das Dinkelbrot oben rechts kaufen möchte. In der Alltagssprache kauen wir Worte wie eben dieses Brot durch. Sie sind Mittel zum Zweck der Verständlichkeit und Verständigung. Sie bringen uns anderen näher. Das ist in Ordnung – ohne die Alltagssprache geht es ja nicht.
    Literatur ist für mich aber etwas anderes. Wo im gesprochenen Wort alles immer kürzer und einfacher wird, kann die Literatur gegenhalten, ob offen im Sprachlichen oder verborgen im Inhalt. Sie kann illustrieren, dabei eiskaltes Wasser über Köpfe gießen, Leser*innen vollkommen verwirrt und am Leben zweifelnd zurücklassen. Literatur kann bei dritter Betrachtung den Anker geben, den sie bei zweiter entrissen hat. Immer wieder kann sie die Frage aufwerfen, was Literatur, ein Text, ein*e Autor*in eigentlich ist. Wer ich bin.

    Ich schreibe Gedichte, seit ich klein bin. Das sind keine Meisterwerke, aber doch Gedichte. Viel zu oft werde ich gefragt: „Was, Gedichte? Wozu braucht man denn sowas?“ Viel zu oft weiß ich zuerst nichts zu sagen, während ich in das zweifelnde Gesicht meines Gegenübers starre. Was ich hier über Literatur geschrieben habe, ist genau das, was ich dann sagen sollte. Aber mir fällt in diesen Momenten nichts ein, weil mein Zweifel geweckt wird. Ich stelle mir die Frage, wozu ich eigentlich schreibe, selbst. Immer wieder. Sie ist wie der doofe Fleck auf dem Teppich, der einfach nicht rausgeht und auf den ich meinen Hocker stelle, bis ich ihn vergesse und den Hocker verschiebe. Dann ist der Fleck wieder da.

    Wenn mir mal eine passende Erwiderung einfällt, ist das Gespräch bereits beendet, ich sitze mit Zettel und Stift in der Bahn oder im Bett und weiß nicht, wofür „man“ aber wofür ich Gedichte brauche. Nicht nur als Zerstreuung vom Alltag. Nicht, um mich anderen erklären zu können. Zuallererst, um mich mir erklären zu können.

    Kolumnistin Laura Schenk sitzt auf einem Stein und liest im Wald.

    Zu sich selbst finden kann man auch in der Natur.

    Ich verstehe, wie die Frage entsteht. Es gibt nicht die Ausbildung zum Dichter oder zur Dichterin. Ich könnte nicht sicher sagen, ob es sich dabei überhaupt um einen Beruf handelt. Eigentlich gibt es in unserer Gesellschaft noch nicht einmal einen Ort für Dichter*innen, der ihnen sicher zugewiesen werden kann. Anders als Anwält*innen oder Bauarbeiter*innen werden sie wesentliche Schwierigkeiten haben, zu beweisen, wie nützlich sie dem Staat sind und warum sie eine Daseinsberechtigung haben. „Zum Glück“, möchte ich sagen. Würde es denn einer Dichtung guttun, wenn sie mit dem Anspruch geschrieben wird, sich irgendwo in die Gesellschaft einpassen zu müssen? Ich glaube nicht. Sich einpassen bedeutet doch letztlich nach links und rechts schauen zu müssen, um sich in eine kleine Lücke zu quetschen, obwohl Schreibende, wenn wir nur in uns selbst schauen, eine ganze Welt finden können. Ich bin der Überzeugung, Lyrik darf auch rücksichtslos sein und statt nach links oder rechts nur nach vorn schauen.

    Aber diese trotzigen Erwiderungen und Auswege aus dem immergleichen Problem tun sich, wenn überhaupt, nur in meinem Kopf auf. Gerade schreibe ich sie zum ersten Mal auf. Vielleicht aus Angst, beim nächsten Mal keine Antwort mehr zu finden. Denn selbst, wenn ich mal weiß, was mir Gedichte nützen, wofür ich sie brauche, dann weiß ich immer noch nicht, wie schreiben eigentlich geht, wie ich eigentlich klinge und wer das eigentlich ist: ich. Sind Gedichte auch der Zugang zu mir selbst, merke ich doch immer wieder, wie unzureichend meine Worte sind, um mein Innenleben auszudrücken, das ja auch nicht unveränderlich ist. Manchmal erscheint es mir daher ganz sinnlos, mich selbst in Worte fassen zu wollen und mein gefundenes Wozu wird leer. Aber dann merke ich doch, dass das Dichten mich mir annähert und ich wage es zu hoffen, eines Tages eine Antwort zu finden.

    So bleibt mir nichts anderes übrig als die ewige Frage „Was, Gedichte? Wozu braucht man denn sowas?“ Mit einem stummen Lächeln zu beantworten und die Suche nach der eigenen Sprache im Geheimen fortzusetzen.

    Fotos: Laura Schenk

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