„Raus aus den Toiletten und rein in die Straßen“
Der deutsche Filmemacher und Vorreiter der LGBTQ+ Bewegung Rosa von Praunheim war als Abschluss des „Literarischen Herbstes“ bei der 14. Leipziger Poetikvorlesung am 31. Oktober im Paulinum zu Gast.
Von Praunheim trug ein schwarzes T-Shirt, darüber ein offenes grün kariertes Holzfällerhemd, welches er als erste Amtshandlung auszog. „Ich muss ja angemessen aussehen“, sagte er lächelnd, während er sich ein schwarzes, mit glitzernden Sternen besticktes Jackett anzog und den dazu passenden Zylinder aufsetzte.
„Wer hier ist hetero?“ fragte er grinsend das Publikum. Daraufhin hoben etwas verspätet etwa 70 Prozent die Hand. „Wunderbar, sehr ehrlich. Danke für die Offenheit!“ das Publikum lachte.
Dann begann sein Vortrag. Er erzählte über seine Werke und sein Leben und durchmischte die Erzählung immer mal wieder mit von ihm geschriebenen Gedichten. „Mein größtes Geschenk ist, dass ich Kunst genießen kann.“ Er hätte sich als kleiner Junge zuerst in Gedichte und dann in expressionistische Malerei verliebt. Schon immer habe er gerne gelesen, seine Lieblingsautorin sei Charlotte Link, die aber, wie er anmerkte, den Kontakt zu ihm verweigere. „Seit vielen Jahren schreibe ich jeden Tag mindestens ein Gedicht und heute“, fährt er ironisch fort, „bin ich endlich eingeladen als Dichter, eingereiht zwischen Größen wie Goethe.“ Eingeladen zu einem Vortrag, für den er 4.300 Euro bekomme. Er fragte das Publikum: „Was denkt ihr, wenn ihr mir begegnet? Wie fühlt es sich an, so einem begnadeten Künstler gegenüberzustehen?“
Alles sei Lyrik. Kopfschmerz, Tod und Liebe. Der Schmerz sei der größte Antrieb des Künstlers: „Das schlimmste für den Künstler ist, dass er glücklich ist“, denn „Kreativität braucht Konflikt“. Früher hätte er oft über den Tod nachgedacht, er hätte dauernd erhängte Könige gemalt. Umso älter, desto glücklicher wird er, heute male er nur noch bunte Tiere und Penisse. „Ich lasse meine Hoden schmunzeln“.
Er begann sein Kunststudium in Berlin zu einer Zeit als der Paragraff 175 Strafgesetzbuch, der praktizierte Homosexualität strafbar machte, noch in Kraft war und Onanieren als Auslöser für Rückenschmerzen galt. Schwule Männer wie er lebten in einer Welt voller Angst und Heimlichkeit, Sex musste schnell gehen, auf dem Pissoir oder im Gebüsch. Als die Norm am 1.September 1969 aufgehoben wurde, sah er die Chance für seinen Spielfilm „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“. In diesem Film richtet er sich an die Schwulen selbst, mit der Anklage, die Situation, in der sie lebten sei selbstverschuldet und dem Appel: „Raus aus den Toiletten und rein in die Straßen“. Er habe den Film damals stumm gedreht und später eigens kommentiert. „Ob die Produzenten wussten welches provozierende Ausmaß der Kommentar annehmen würde? Natürlich nicht!“, erklärte von Praunheim. Der Film gilt als entscheidender Impuls der modernen Schwulenbewegung in Deutschland. Später engagierte er sich mit dem Film „Ein Virus kennt keine Moral“ für die Aidsprevention. Im Zuge dieser warb er auch dafür, dass sich mehr prominente Menschen outen sollten. Mit diesem Vorhaben im Hinterkopf, outete er Hape Kerkeling und Alfred Biolek in einem Fernsehinterview, ohne ihr Wissen geschweige denn Einverständnis.
„Wie also kommt es, dass ich zum Revolutionär wurde?“, stellt sich von Praunheim die Frage. Nun er wurde von Filmschulen abgelehnt und kam in einem Staatsgefängnis von Riga zur Welt. Im Alter von 94 Jahren erzählte ihm seine Mutter, er sei eigentlich adoptiert. Die Suche nach seiner leiblichen Mutter dokumentierte er mit seinem Film „Meine Mütter“.
Er beendete seinen Vortrag mit einer „Hymne, die man hier in Leipzig jede Woche abspielen kann“, deren Refrain „Afd, Afd Arschlöcher für Deutschland…“ war. Daran knüpfte er seinen abschließenden Appell: „Wir müssen alles daransetzen, die Demokratie in Deutschland zu verteidigen!“
Foto: Gert Mothes
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