Eine Ode an abgelatschtes Laminat
Kolumnist Laurenz suhlt sich erst einmal ganz ausgiebig in seinen Erste-Welt-Problemen. Für das neue Jahr nimmt er sich vor, stets luxuriösen Verlockungen zu widerstehen.
Ich kann, so glaube ich, mit Fug und Recht von mir behaupten, kein Angeber zu sein. Es widerstrebt mir einfach. Deswegen verspüre ich jetzt auch den Drang, mich für das, was nun folgen wird, zu entschuldigen.
Ich wohne seit Sommer 2020 mit meiner WG in einer frisch sanierten Altbauwohnung im Waldstraßenviertel. Lediglich fünf Minuten Fußweg trennen mich vom Rosentalpark. Unsere Wohnung hat zwei Balkone, einen zur Straße und einen zum Innenhof. Die Deckenhöhe beträgt 3,80 Meter; als ich das erste Mal nach meinem Umzug meine alte Heimat besuchte, habe ich intuitiv den Kopf einziehen müssen. Auf dem Boden ist ein Parkett in aufwendigem Fischgrätenmuster verlegt, bestimmt Eiche oder so. Wir haben zwei Bäder, in einem davon befindet sich eine Badewanne mit Whirlpoolfunktion.
Klingt doch traumhaft, sagen alle, denen ich davon erzähle. Warum bin ich also trotzdem mit meiner Wohnsituation nicht komplett zufrieden? Sind es etwa die schlecht verklebten Fußleisten, die sich von meinen Zimmerwänden abschälen? Ist es der Fakt, dass unser Balkon bei Regen nass wird, weil es bei dem Balkon über uns durchtropft? Ist es der Styroporstuck an der Decke, der so offensichtlich nicht echt ist, dass ich mich frage, wer sich überhaupt die Mühe gemacht hat, dafür auf eine Leiter zu steigen? Bin ich sauer, dass nur die Hälfte der Whirlpooldrüsen funktionieren und obendrein viel zu laut sind? Sind es solche Kleinigkeiten, die mich mit meiner ansonsten tadellosen Wohnung hadern lassen? Oder ist es gerade diese Tadellosigkeit, die mich stört?
Mit zehn Jahren sah ich meinem Bruder dabei zu, wie er von zuhause wegzog, um mit seinen ehemaligen Schulkameraden eine WG in Berlin zu gründen. Als ich ihn dort besuchte, wusste ich genau, dass auch ich später einmal so leben will: Ständig gute Freunde um mich herum und keine Eltern, die mir sagen, ich solle doch bitte meine dreckige Wäsche vom Boden aufheben. In der WG meines Bruders lebte ein Kater namens Rasputin, der war das personifizierte Chaos. Wie ein Flummi sprang er durch die Zimmer, stieß sich an den offenen Türen, fegte das Geschirr von den Tischen und kratzte meine Hände blutig, die ihn einzufangen und zu streicheln versuchten, ohne Erfolg natürlich. Genauso musste eine WG sein, fand ich, und nicht anders.
Aber Vorstellungen, wie die Zukunft auszusehen hat, bewahrheiten sich ja eher selten, und eine WG zu gründen heißt auch immer, Kompromisse einzugehen. Statt einer verrückten Katze zieht also nur unser Staubsaugerroboter seine Kreise und bereinigt das Chaos, anstatt es zu verursachen. In meinem alten Kinderzimmer fühlte ich mich manchmal wie ein Elefant im Porzellanladen. Jetzt, wenn mein Blick eine kleine Ewigkeit die Wände emporläuft und sich irgendwo über mir, ganz weit weg, die Decke wie das Firmament erstreckt, fühle ich mich klein wie ein Frosch in einer Lagerhalle.
Natürlich bin ich dankbar für den vielen Platz in meinem Zimmer, den ich als Kind nicht hatte, dankbar, morgens nicht Schlange stehen zu müssen, um ins Bad zu gehen, dankbar für die Möglichkeit, jederzeit frische Luft auf dem Balkon schnappen zu können. Aber eigentlich schlummert in mir der Wunsch nach einer Wohnung, die wie ein Flickenteppich wirkt und nicht wie feiner Seidenstoff. Ein Zimmer, das Geschichten erzählt von den Menschen, die vor mir dort lebten. Eine Küche, in der ein Fleck auf dem Boden nicht sofort ins Auge sticht. Ein Wohnzimmer, dem es egal ist, wenn die Tapete dreckig wird. Ein bisschen mehr Chaos, ein bisschen mehr Bescheidenheit, ein bisschen mehr Gemütlichkeit. Jetzt habe ich mich mit dem Luxus arrangiert, aber gewöhnen möchte ich mich nicht an ihn.
Fotos: Privat
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