Dem freien Wohnungsmarkt entzogen
Beim kooperativen Bauen und Wohnen werden alternative Wohnformen geschaffen. Stadt und LWB unterstützen Projektgruppen durch die Vergabe von Grundstücken in der Stadt im Rahmen von Konzeptverfahren.
„Wir haben die Baugenehmigung in diesem Sommer erhalten und wollen Anfang Dezember mit dem Bauen beginnen“, erzählt Romy Gröschner. Ihre Gruppe „Klinge10“ hat beim ersten Konzeptverfahren in Leipzig 2017, durchgeführt durch die Leipziger Wohn- und Baugesellschaft mbH (LWB), mit ihrer Idee für den Bau eines Mehrfamilienhauses in Leipzig gewonnen. „Im März 2023 soll das Haus dann stehen und wir einziehen“, sagt sie.
Solche Konzeptverfahren mache die Stadt und die LWB zur Vergabe von Grundstücken und Gebäuden an die beste Idee, erklärt Julia Lerz, Sachbearbeiterin beim Amt für Wohnungsbau und Stadterneuerung Leipzig. „Es gibt verschiedene Zielrichtungen, zum Beispiel sozialer Wohnungsbau, Gastronomie, Kultur oder auch kooperatives Bauen“, führt sie aus. Eine Jury aus Vertreter*innen der Stadt, der Stadtpolitik und aus den Quartieren bewertet die eingereichten Konzepte dann anhand eines von der Stadt zuvor aufgestellten Kriterienkataloges. „Und dann gewinnt das beste Konzept, orientiert an den Zielvorstellungen und den Kriterien“, erzählt Tanja Korzer vom Netzwerk Leipziger Freiheit. Auf dem Weg zum Konzept können die Gruppen die Informationsveranstaltungen besuchen und die Beratungsangebote des Netzwerks in Anspruch nehmen. Das Netzwerk wurde 2016 gegründet und finanziert sich aus den Mitteln des wohnungspolitischen Konzeptes der Stadt Leipzig. „Ziel ist es, die vorhandenen Ressourcen in der Wohnungsprojektszene zu bündeln und Interessierten kostenlos zur Verfügung zu stellen“, sagt Korzer. Das Netzwerk bietet kostenfreie Orientierungs-, Konzept- und Fachberatung für interessierte Baugemeinschaften an. „Weitere Informationen können Interessierte auf unserer Website finden.“, empfiehlt Korzer.
Wichtige Kriterien der Bewertung seien zum Beispiel bezahlbares Wohnen, die Vielfalt des Wohnungsangebotes, gemeinschaftliches Wohnen, die Öffnung in die Nachbarschaft, nachhaltiges Bauen, Wirtschaftlichkeit und auch die Gruppendynamik. „Der Bau ist ein langer Weg. Wir haben gelernt, dass die Gruppe funktionieren muss, damit das Projekt umgesetzt werden kann.“, berichtet Korzer. „Eigentlich erzählt man mit seinem Konzept eine Geschichte. Man erzählt, was der Bau und das Wohnprojekt für die Gruppe, aber auch für das Quartier will.“, verrät Korzer. Die Begriffe Quartier und Viertel seien keine streng mathematischen Begriffe“, erklärt Prof. Ronald Scherzer-Heidenberger, Professor für Regionalplanung und Städtebau an der HTWK Leipzig. „Ein Quartier ist ein Teil eines Stadtviertels, ein Wohnkomplex, der in sich funktionieren soll.“ Es gäbe zum Beispiel einen Einzelhandel und einen Kindergarten. „Man kennt sich untereinander, es ist wie ein Dorf in der Stadt“, beschreibt er.
Der Neubau der Klinge10 entsteht als kooperatives Bau- und Wohnprojekt. Der Begriff des kooperativen Bauens und Wohnens könne verschieden verstanden werden, sagt Scherzer-Heidenberger. „Manche wollen eine Art Lebensform schaffen, anderen geht es darum den freien Wohnungsmarkt zu umgehen und sich einfach bezahlbaren Wohnraum zu schaffen“, sagt er. Es seien mehrere Personen oder Menschengruppen, die sich zusammenschließen und gemeinsam planen, bauen und dann in einem Gebäude wohnen, definiert Lerz.
Verfahren
„Im September 2020 haben wir die erste Tranche mit insgesamt fünf Grundstücken für das kooperative Bauen angekündigt, bewerben konnte man sich ab März 2021 innerhalb von drei Monate.“, erklärt Lerz. Hierfür wurden von siebzehn Baugemeinschaften Konzepte eingereicht. Die Sieger wurden im Sommer dieses Jahrs gekürt. „Die Gruppen entwickeln aus ihren Grobkonzepten jetzt Konzepte, die in die Umsetzung gehen können“, berichtet Lerz. Parallel dazu wurde diesen September die zweite Tranche Grundstücke angekündigt. Auch hier ist eine Bewerbung ab März 2022 möglich. „Dann stehen auch die konkreten Preise hinter den Grundstücken“, sagt Lerz. Ob in den nächsten Jahren weitere Grundstücke angeboten werden, hänge auch von der Anzahl der Bewerbungen in diesem Jahr ab.
Bei der Vergabe von Grundstücken durch die Stadt werden diese nicht an die Gruppen verkauft. Die Gruppen pachten das Grundstück im Rahmen des Erbbaurechtes für 110 Jahre von der Stadt oder der LWB und entrichten jährlich einen Erbbauzins in Höhe von 2,5 Prozent des Verkehrswertes, also des zu erzielenden Verkaufserlöses, zu Beginn der Laufzeit des Vertrages. „Deswegen ist es auch besonders wichtig, dass der Erbbaurechtsvertrag zu Beginn des auf die Ausschreibung folgenden Jahres geschlossen wird“, erklärt Korzer. Ansonsten müsste ein neuer Verkehrswert ermittelt werden, der vermutlich über dem Verkehrswert des letzten Jahres liegt. Dadurch würden die Kosten für die Gruppen erhöht.
Finanzierung
„Wir als Stadt stellen nur die Grundstücke zur Verfügung, die Gruppen müssen sich selbst um die Finanzierung des Baus kümmern“, stellt Lerz klar. Aber ist das dann nur etwas für Reiche? „Zumindest würde ich es eher bejahen, dass es nur etwas für Menschen mit einem Grundstock an Eigenkapital ist. Damit eine Bank einen Kredit vergibt, muss man oft mindestens 20 Prozent Eigenkapital einbringen“, meint Scherzer-Heidenberger. Klinge10 finanziert sich über Kredite. „Eigentlich muss man Eigenkapital mitbringen, wenn man zur Bank geht“, gibt Gröschner zu. Der Neubau werde aber mehr als zwei Millionen Euro kosten. „So viel Eigenkapital können wir alle gar nicht einbringen“, sagt sie. Klinge10 habe deswegen Darlehen bei Privatpersonen aufgenommen, welche dann bei der Bank als Eigenkapital angerechnet werden konnten. „Zudem kriegen wir Fördergelder von der Stadt, weil wir sozialen Wohnraum schaffen, und auch KfW Zuschüsse, weil wir energetisch effizient bauen“, erklärt Gröschner. Man müsse nicht reich sein, betont Gröschner „Ich bin alleinerziehend und habe zwei Kinder, ich könnte das nie zurückzahlen, bis ich Rentnerin bin“. Bei Klinge10 scheitere es aber nicht an den persönlichen finanziellen Mitteln, das sei gerade das schöne am kooperativen Bauen und Wohnen. „Ich denke, dass kooperatives Wohnen und Bauen auch für Studierende eine Möglichkeit sein kann“, ergänzt Korzer.
Ob die Bank einen Kredit vergibt, hänge oft auch maßgeblich von der gewählten Rechtsform ab, sagt Korzer. „Je nachdem, ob die Kreditwürdigkeit der einzelnen Personen oder der juristischen Person als ganzes geprüft wird.“ Klinge10 hat einen Verein, den Klinge10 e.V. gegründet. Dieser ist gemeinsam mit dem Mietshäuser Syndikat Gesellschafter der KLINGE 10 GmbH. „Das Mietshäuser Syndikat ist auch eine GmbH. Die sind Gesellschafter in vielen GmbHs deutschlandweit mit dem Ziel, Wohnraum dem spekulativen Markt zu entziehen.“, erklärt Gröschner.
Ziel
Die Stadt wolle mit dem Konzeptverfahren Personen ansprechen, die sich auf dem freien Wohnungsmarkt nicht versorgen können, weil sie freier und individueller Bauen wollen oder auch besondere Anforderungen haben, weil sie beispielsweise körperlich beeinträchtigt sind, erläutert Lerz. „Das ist ein qualitatives, kein quantitatives Projekt. Wohnungsknappheit können wir damit nicht bekämpfen.“, stellt sie fest. „Die Personen sind nicht mehr an klassische Investoren gebunden, deren Zweck Gewinnerwirtschaftung ist“, erklärt Scherzer-Heidenberger. „Unser Haus soll nie wieder verkauft werden, es soll also kein Spekulationsobjekt werden. Wir müssen auch keinen Gewinn erwirtschaften.“, sagt Gröschner. Siedeln sich mehrere solcher Projekte in einem Quartier an, könne das beruhigend auf die Mietspiegel wirken, prognostiziert Scherzer-Heidenberger. „Wir machen das, weil die Mieten in der Stadt zu teuer sind und weil wir alle gemeinschaftlich wohnen wollen. Wir wollen das Gefühl von Gemeinschaft haben, was in einer Großstadt schon manchmal verloren gehen kann. Wir wollen unsere Güter teilen, also zusammen wirtschaften, zusammenleben und auch innerhalb der Gemeinschaft Projekte verwirklichen.“, sagt Gröschner. Die Gruppen seien bunt. „Wir haben teilweise ältere Personen, die sich Wohnen im Alter, linkere Gruppen, die alternatives Wohnen, und auch Familien, die Wohnraum für ihre Familie und Eltern schaffen wollen.“, erzählt Korzer.
Unsere Idee
Klinge10 wird auf dreieinhalb Etagen Wohnen. Dort teilen sich verschiedene Familien und Personen Bäder, Küchen und Gemeinschaftsräume. „Einigen war es aber wichtig, ein eigenes Bad zu haben, das haben wir dann auch verwirklicht.“, sagt Gröschner. Im Erdgeschoss gibt es einen großen Gemeinschaftsraum, der auch durch das Quartier genutzt werden kann. Außerdem soll in die übrigen Räume des Erdgeschosses ein Gesundheitskollektiv, ein Konglomerat aus verschiedenen Gesundheitsberufen wie Physiotherapeuten, einziehen.
„Momentan sind wir zwölf Erwachsene und 15 Kinder“, berichtet Gröschner. Auf die Frage wie das mit der Erziehung funktionieren soll, antwortet sie: „Darüber habe ich noch gar nicht so genau nachgedacht.“, und lacht. Kooperatives Wohnen sei viel Gruppenarbeit, man müsse versuchen immer alle Bedürfnisse abzudecken, betont sie. „Es ist manchmal anstrengend, aber wir finden immer eine Lösung.“
Foto: Wohnprojekt Gothaer Straße 42
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