Montägliches Misstrauen
In der Januarausgabe haben wir uns an einen wissenschaftlichen Blick auf die Corona-Demonstrationen gewagt.
Seit Beginn der Pandemie hat die Gesellschaft nicht nur mit einem gefährlichen Virus, sondern auch mit Menschen zu kämpfen, die ersteren anzweifeln und getroffene Maßnahmen zur Sicherung der allgemeinen Gesundheit bewusst missachten. Die selbsternannten Querdenker*innen formieren sich in Demonstrationen, die in Leipzig regelmäßig die Tausendermarke knacken. Auch jetzt, wo sich die pandemische Lage durch die sich schnell verbreitende Omikron-Variante erneut zuspitzt, versammeln sich Protestwillige wöchentlich. Diese Treffen werden von ihnen selbst verharmlosend als „Spaziergänge“ bezeichnet.
Alexander Leistner, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig, ist Experte, wenn es um das Thema Protestforschung geht. Er erkennt ein besonderes Merkmal in den Corona-Demonstrationen – das „Charisma der Dominanz“. Die bewusste und gezielte Regelüberschreitung schweiße die Widerstandsbewegung zusammen und strahle eine klare Botschaft nach außen aus. Zusätzlich sei auch die Gewaltbereitschaft der Querdenker*innen auffällig groß. „Schon mehrfach wurde in Sachsen versucht, Beamten ihre Dienstwaffe zu entreißen“, sagt Leistner.
Die vom Historiker Sven Reichardt als „Misstrauensgemeinschaft“ bezeichnete Sammlung von Unzufriedenen mobilisiert sich hauptsächlich online. Das Internet bietet Anonymität in der Verbreitung von Zweifeln und Anfeindungen gegenüber Politik, Medien und Wissenschaft. Eine organisatorische Grundlage für die sächsischen Corona-Demonstrationen bildet der Telegram-Kanal der rechtsextremen Kleinstpartei „Freie Sachsen“, der über 130.000 Abonnent*innen erreicht.
Auch Leistner, der bereits seit mehreren Jahren Protestereignisse kommentiert, steht seit Anfang Dezember im Feuer der Querdenker*innen und erhielt seitdem über 100 Hassmails. Diese Entwicklung geht vermutlich auf ein Anfang Dezember erschienenes Interview von ihm mit der Universität Leipzig zurück, in dem er die rechtsextremen Tendenzen der Demonstrierenden offen thematisierte. Auch im Gespräch mit luhze meint er, dass in der Gruppe der Querdenker*innen zwar verschiedenste Gesellschaftsbereiche zusammenkommen, diese aber „auf den Straßen gewollt oder ungewollt den Schulterschluss mit Akteuren der extremen Rechten vollziehen“.
Die Demokratiegefährdung, die von den Querdenker*innen ausgehe, ist laut Leistner nicht zu unterschätzen. Besonders die sächsischen Demonstrierenden stellen ihren Protest gerne in die Tradition der friedlichen Revolution von 1989. „Damit bekommt der Widerstand eine historische Aufladung und wird zu einem Moment der Selbstvergrößerung“, schildert der Protestforscher.
Daraus entstehe das Narrativ, dass ein Volksauflehnen gegenüber staatlichen Strukturen unbedingt notwendig sei – als Held*innen, die gegen eine vorherrschende Diktatur kämpfen müssen. Hierbei könnte es zu einer Verharmlosung des Querdenker*innenbündnisses kommen, das auch extrem rechte Akteur*innen einbezieht und normalisiert.
Auch wenn die derzeitigen Leipziger montäglichen Versammlungen im sächsischen Vergleich eher ruhig verlaufen, sieht Leistner keinen Grund zur Entspannung. Die Forschung sei sich sicher, dass die Bewegungen sich weiter ausbreiten und uns auch nach der Pandemie weiter beschäftigen werden, beispielsweise in Form von Demonstrationen gegen Klimaschutzmaßnahmen. „Es braucht ein politisches Bewusstsein für die Demokratiegefährdungen, die von diesen Protesten ausgehen“, erklärt er. „Nicht zuletzt der öffentliche Umgang mit Pegida hat gezeigt, dass der Preis enorm hoch ist, wenn man den Forderungen und Positionen zu viel Raum lässt.“
Grafik:Charlotte Paar
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