Sexyimperativ
Kolumnistin Hannah hat das dringende Bedürfnis einfach mal zu stänkern. Die siebzehnte Staffel von Germany’s Next Topmodel kommt da grade recht.
Fröhlich trötet meine Mutter ins Telefon, dass am Donnerstag endlich die neue Staffel von Germany’s Next Topmodel (GNTM) anfange. Ob ich nicht kommen wolle, am Donnerstag, zum Schauen. Ich wollte nicht.
Ja, neben Funny Van Dannen gibt es in meinem Leben noch weitere frühkindliche Erinnerungen, auf die ich nicht stolz bin. Ich bin mit Germany’s Next Topmodel aufgewachsen. Eine Show, in der es darum geht, die ‚schönsten Medels‘ aus Wuppertal und Buxtehude gegeneinander antreten zu lassen bei Nacktshootings, Sexyshootings, Unterwäscheshootings, Male-Model-Shootings. Alles zusammengesponnen von Heidis Spinnfäden der Verdammnis zu einem ordentlichen Netz der Fremdscham. Mega. Neben meiner Mutter auf der Couch hab‘ ich das bis tief in die Nacht geschaut. Ich weiß auch noch genau, wie es war, als Barbara gewonnen hat, nur weil Marie freiwillig gegangen ist, obwohl alle wussten, dass Marie die eigentliche Gewinnerin sein sollte. Aber das ist nun vorbei. Ich studiere jetzt eine Sozialwissenschaft und wohne in Leipzig. Ich weiß jetzt, was damals eigentlich geschah: Ich glaube, in meiner frühen Kindheit schon kam der Kapitalismus mit seiner Ausgeburt, dem Patriarchat, an der Hand, in mein Zimmer spaziert, nur um mir zu sagen, ich solle sexy sein. Und Heidi war da ganz sicher auch dabei.
Man muss nicht mal wie ich sieben Staffeln angesehen haben, um zu erkennen, dass die Quintessenz der Show sexy, sexy ist. Natürlich kommt es auch auf die ‚personality‘ an. Nur wer introvertiert ist, hat natürlich keine ‚personality‘, das ist klar. Mittlerweile soll Heidi ja einen weicheren Kurs fahren, aber damals hat sie ihren ‚Medels‘ noch laufend an den Kopf geworfen, sie seien langweilig und zu dick. Dazu noch die ständige unterschwellige Suggestion, man müsse sich gnadenlos unterwerfen. So sei es nun mal, das Modelbusiness. Verfügbar und devot also. Kommt mir bekannt vor. Funktioniert auch in Pornos und Werbung.
Als ich vor zwei Jahren meine Eltern wegen GNTM zur Rede gestellt habe, hieß es: „Aber wir machen uns doch nur lustig, du weißt doch, dass das ein falsches Frauenbild ist.“ Na toll, und damit war die Verantwortung mal wieder bei mir zu erkennen, dass Heidi Klum geradewegs aus der Hölle auferstanden ist, aus der gleichen wie Kim Kardashian und Xavier Naidoo nämlich. Und auch wenn wir uns nur darüber lustig machen, ich will mich gar nicht über andere FLINTA lustig machen. Und außerdem weiß doch mittlerweile jede*r, dass in dem Moment, in dem wir einschalten, wir Teil der Maschinerie sind und dazu beitragen, dass solche Shows weiter produziert werden. Das lässt sich übrigens auf alle Phänomene des Hate-watching, sei es auf YouTube oder Instagram, beziehen. Und ich kann meinen Eltern guten Gewissens widersprechen. Als Knirps habe ich schon zu Heidis ‚Medels‘ aufgesehen. Wie sie da abwechselnd kreischend, abwechselnd streitend ihre Haare in die Windmaschine halten und sexy sind. Da dachte ich logischerweise, ich muss das auch.
Zu Forschungszwecke habe ich mir selbstverständlich auch den Trailer der neuen Staffel angesehen und ich kann sagen, diese Staffel wird so divers wie noch nie! Laut Heidi. Begründet wird das damit, dass Heidi diesmal auch Frauen Ü40 und Frauen mit Kleidergröße Ü36 piesackt (schwaches Verb: anhaltend, hartnäckig quälen). Eigentlich aber wird die Staffel mindestens so peinlich sein wie Heidis neue Single mit Snoop Dogg. Und der ganze Versuch des Pinkwashing der Show, als Symptom eines gigantischen misogynen Überbaus der Unterdrückung. So, das musste raus.
Während meiner Recherche bin ich in die Tiefen des World Wide Webs abgetaucht, die niemand betreten sollte. Wer sagt, Telegram sei gefährlich, der irrt sich. Denn ich weiß nun, es ist nicht Heidis erste Single: Heidis Weihnachtssong „Winter Wonderland“ von 2021 hat mich wirklich nachhaltig schockiert. Noch Tage später hatte ich mich nicht erholt, von diesem lausch Angriff.
Aber natürlich ist GNTM nur eine Begleiterscheinung des Untergangs, des internalisierten Verkaufs von ‚Weiblichkeit‘. Sexy ist die Währung in der patriarchalen Kapitalismusmaschine. Aber dieses Sexy hat nichts mit echter Sexualität zu tun. Das ist ein glattrasiertes und einparfümiertes Sexy. Eines, das es so gar nicht gibt. Eine Marke, die wir kaufen sollen, und mit ihr dann uns. Wenigstens das gibt Heidi zu.
Laurie Penny und Margarete sagen, wenn alle Frauen morgen aufwachten und sich in ihrem Körper wohlfühlten, würde die Weltwirtschaft über Nacht zusammenbrechen. Bleibt nur darauf zu warten.
Teaserfoto: Pixabay
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