Aus der Tonne ins Gesicht
In einer ungewöhnlichen, politischen Aktion bewarfen sich vergangenes Wochenende junge Leipziger mit Obst, Gemüse und Backwaren.
Am Samstagvormittag, dem 29. Januar 2022, versammelten sich etwa 15 junge Leipziger vor dem Schiller Park, um auf Lebensmittelverschwendung aufmerksam zu machen. Die Beteiligten hatten am Tag zuvor containert. Beim Containern oder „Dumpster Diving“, zu Deutsch Mülltauchen, werden noch genießbare Lebensmittel aus Mülltonnen gesammelt. In Deutschland ist es illegal und fällt in die Bereiche Hausfriedensbruch und Diebstahl.
Mit einem zwischen zwei Einkaufswagen gespannten Banner „Essen retten, Leben retten“, stellten sich die Teilnehmer vor dem Schiller Park an der Petersstraße auf. Sie beschmissen sich mit den containerten Tomaten, Sushi und Gewürzen und kämpften mit Kohl und Baguettes. Passanten konnten sich bei den Teilnehmern über die Aktion informieren und sich kostenlos Lebensmittel mitnehmen.
Während sich einige der Passanten empört zeigten oder kopfschüttelnd an der Aktion vorbeiliefen, gaben sich viele unterstützend und begeistert und deckten sich mit Obst, Gemüse und Schokolade ein. Man könne online zusammen mit Lebensmittelgeschäften eine Foodsharing-Gruppe öffnen und so Lebensmittel, die sonst weggeworfen werden müssten, verteilen, schlägt Emilia*, eine der interessierten Passantinnen vor. In ihrem Heimatort würde das auch mit den großen Lebensmittelketten super funktionieren. Neben den Fairteilern als Möglichkeiten für Privatpersonen Lebensmittel zu teilen und der App To good to go, in der hauptsächlich Restaurants und Bäckereien Übriggebliebenes anbieten, gibt es in Leipzig bisher noch kein Projekt, an dem Lebensmittelmärkte teilnehmen.
Die Organisatoren erhofften sich von der Veranstaltung mehr Aufmerksamkeit für die Lebensmittelverschwendung, insbesondere bezüglich großer Ketten. Laut dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft werden allein im Handel jährlich 500.000 Tonnen Lebensmittel entsorgt. Hanna*, eine der Organisatorinnen, die selber regelmäßig containert, hatte entschieden dem Thema mehr Aufmerksamkeit zu schenken, nachdem sie gesehen hatte, wieviel Lebensmittel schon ein einziger Markt entsorgt. „Es ist einfach schade für jeden, der schon einmal eine Karotte aus dem Boden gezogen hat. Gerade wegen der Klimakrise kann man diese Verschwendung einfach nicht ignorieren.“ Ein weiteres Problem sei, dass wir so viele Lebensmittel zur Verfügung haben, dass niemand die entsorgten Lebensmittel vermisse. Die logische Konsequenz, fordert Hanna, müsste sein, im Vorhinein schon weniger so produzieren.
Weniger als eine Stunde nach der Aktion, war von der Lebensmittelschlacht vor dem Schiller Park nichts mehr zu sehen. Sollte sich an der Situation und den Gesetzen zu Lebensmittelverschwendung und Containern nichts ändern, planen die Organisatoren das Projekt zu wiederholen.
*Die Namen der Beteiligten wurden geändert.
Fotos: Johannes Rachner
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