Alle zusammen gegen den Klassismus
Autorin Nele ist die Erste in ihrer Familie, die studiert. Das Studierendenleben ist für sie deswegen manchmal nicht so leicht und sie muss sich in der Akademiker*innenwelt erstmal zurechtfinden.
Ich bin Erststudierende. Meine Eltern haben nicht studiert. Genau genommen hat niemand in meiner Familie studiert, auch nicht in der erweiterten Familie. Als meine Schwestern und ich an der Universität angenommen wurden, war meine gesamte Familie sehr stolz. Meine Eltern freuten sich darüber, dass uns nun die Bildung zuteil wird, welche ihnen immer verwehrt blieb. Auch meine Großtante erkundigt sich regelmäßig nach unserem Studienerfolg.
Ein ewiger Begleiter auf meinem Weg zur Akademikerin: Klassismus. Ich kann mich noch genau an eine Situation in der Grundschule erinnern. Aufgelöst kam ich nach der Schule nach Hause, weil einer meiner Klassenkameraden mir gesagt hatte, meiner Mutter könnte gekündigt werden und dann würden wir arm werden, seinem Vater aber nicht. Zur Erklärung, meine Mutter ist medizinische Fachangestellte, sein Vater niedergelassener Arzt.
Was in diesem Beispiel noch relativ lustig wirkt, zeigt jedoch, dass wir anscheinend schon früh ein Klassenbewusstsein entwickeln. Dies erlebe ich so auch stark in der Uni. Ich denke, dass uns Nicht-Akademikerkindern oft ein gewisser Habitus fehlt, der für viele unserer Kommiliton*innen selbstverständlich ist. Akademische Räume sind für uns etwas Neues. Wir müssen sie uns selbst erkämpfen. Das ist oft nicht leicht und erfordert viel Einsatz. Das spiegelt sich auch in offiziellen Zahlen des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsbildung wider, es studieren weit weniger Kinder aus Nicht-Akademiker-Haushalten und noch weniger streben einen Bachelor-Abschluss, einen Master oder gar eine Professur an.
Besonders frustrierend ist, dass es so scheint, als würde vielen meiner Kommiliton*innen mit akademischem Bildungshintergrund alles in den Schoß fallen. Sie profitieren von den universitären Erfahrungen ihrer Familie. Während ich zehn Praktikumsbewerbungen schreibe und eine Antwort bekomme, können sie oft das Netzwerk ihrer Eltern nutzen, um an die begehrten Plätze zu kommen. Ihre Eltern können mehr zu Hausarbeiten sagen als: Das klingt aber sehr schön.
Wenn ich versuche, mit meinen Freund*innen über diese Problematiken zu sprechen, treffe ich oft auf Unverständnis. Obwohl wir uns alle als politisch links verstehen, muss ich mir oft zutiefst neoliberale Äußerungen anhören, wie: „In Deutschland kann es jede*r schaffen, wenn er*sie sich nur genug anstrengt.“ Für viele von ihnen war der akademische Weg schon immer vorgezeichnet, ohne Wenn und Aber. Mich machen solche Diskussionen oft traurig und auch ein bisschen wütend, denn für mich bedeutet das auch ein Stück weit Ignoranz gegenüber anderen Lebensrealitäten als der eigenen.
EU-weit ist Deutschland laut der PISA-Studie eines der bildungsungerechtesten Länder. Das zeigt: In Deutschland kann es eben nicht jede*r schaffen.
Wenn die gleichen Freund*innen dann aber beispielsweise auch kein Problem darin sehen, zu der Gentrifizierung ganzer Stadtteile beizutragen oder durch ihren Wunsch nach Vintagemode die Preise in Secondhandläden hochtreiben, sehe ich eine gewisse Ignoranz für die gesamte Klassismus-Thematik.
Ich würde mir an vielen Stellen eine größere Sensibilisierung für das Thema Klassismus wünschen. Vor allem im universitären Kontext. Wenn die Universität kein einladenderer Ort für Menschen ohne akademischen Hintergrund wird, dann ist das ein Problem für uns alle. Dadurch verliert die Wissenschaft an wichtigen Perspektiven und Diversität und auch von Studierenden würde ich mir eine gewisse Bereitschaft wünschen, aus der eigenen Blase herauszutreten.
Foto: Pixabay
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