Findungsängste
Globale Pandemien, schlechte Arbeitsmärkte, Absagen auf Bewerbungen und die eigenen Zwanziger. Desillusioniert fragt Kolumnistin Leoni, ob man es nicht eigentlich wirklich einfach alles lassen könnte.
Manchmal überkommt mich eine Angst. Ohne dass ich meine Gedanken bewusst in eine Richtung steuere, fängt mein Herz an schneller zu schlagen und ich kann nicht mehr richtig atmen. Ich verliere dann die Distanz zu allem und irgendwie beginnt alles sich zu drehen. Ich sehe nicht mehr richtig, wer ich wirklich bin. Ich schaue in den Spiegel und habe Angst, dass meine Träume blinde Flecken sind.
Gedanken darüber, wer ich mal war, werden Gedanken darüber, wer ich gerade bin und wer ich mal sein will, und sie alle scheinen irgendwie nicht richtig zusammenzupassen. Das macht mir Angst. Ich konzentriere mich darauf, wer ich einmal werden will und die Unwissenheit darüber, was im nächsten Jahr, in den nächsten zehn oder in vierzig Jahren passiert sein wird, macht mir Angst. Wenn ich in diesen Phasen in meinem eigenen Ozean aus Gedanken untergehe, schaffe ich es nie zu schwimmen.
Manchmal sind es Tage, manchmal Wochen oder Phasen. Ich frage mich, ob ich eine zu schöne Kindheit hatte. Die ersten siebzehn Jahre meines Lebens fühlten sich an wie eine Umarmung von einem Menschen, den man liebt. Seitdem falle ich. Manchmal mehr, manchmal weniger. Aber ich falle. Zumindest fühlt es sich so an. Weder die Häufigkeit noch die Intensität meines Fallens sagt etwas darüber aus, ob ich wieder aufstehe. Tue ich immer. Und das ist vermutlich meine beste Eigenschaft. Dennoch gibt es Zeiten, in denen diese Findungsängste mich lähmen. Es gibt Tage, an denen fühle ich mich als wüsste ich nichts, könnte nichts, und wäre niemand. Ich sitze an Tischen mit Menschen, genieße ihre Anwesenheit und fühle mich davon gleichzeitig eingeschüchtert. Hoffe, dass niemandem auffällt, dass ich die Dumme am Tisch bin. Ich weiß genau, was ich will, aber nach wie vielen Niederlagen ist es okay aufzugeben?
Ich weiß die Freiheit, die ich habe, zu schätzen und trotzdem wünsche ich mir von Zeit zu Zeit, nicht ganz allein für mich verantwortlich zu sein. Meine Mitbewohnerin sagt, das sind die Zwanziger. Das immer wiederkehrende Gefühl von – Was zum Teufel mache ich hier eigentlich? Und dann wieder Sonne, bis zum nächsten Grau. Ich weiß, das Leben ist nicht nur Sonne und Grau, dazwischen passiert ganz viel und ganz viel Gutes. Und ich will gleichzeitig nichts und alles ändern. Will dorthin reisen, wo es immer warm ist, zu viel trinken, non-stop-Rauchen und nie mehr zuhause anrufen. Will hier bleiben, wo mein sicheres Zuhause ist, Klavier spielen und Italienisch lernen. Da sein, wenn jemand wieder nach Hause kommt.
An grauen Tagen fühle ich mich gleichzeitig unter- und überfordert. Ich habe das Gefühl, meinen Kopf zu wenig anzustrengen, meinen Intellekt zu verlieren und im selben Moment ist mir alles zu viel. Ich habe Angst, mein Potenzial zu verschwenden und im selben Moment Angst, dass ich gar kein Potenzial habe. Währenddessen habe ich das Gefühl, viel zu schnell das Interesse an allem zu verlieren. Ich will etwas machen, ich mache es und es genügt mir nicht mehr. Ich will weiterziehen.
Soll man sich so fühlen? Sind das wirklich die Zwanziger? Fühlen sich alle von Zeit zu Zeit verloren? In ein paar Jahren wird das alles egal sein. Alles wird anders sein und wichtige Sachen werden wichtiger sein als unwichtige Sachen jetzt. Vielleicht ist es weglaufen, aber was mir an grauen Tagen hilft, ist, in ein anderes Leben zu flüchten. Weit weg sein vom eigenen. Manchmal reicht eine Nacht in einem anderen Bett, nächste Woche werden es zehn Flugstunden sein.
Und hoffen, dass man danach nicht mehr in den Spiegel schaut und Angst hat, dass die eigenen Träume blinde Flecken sind.
Titelbild: Leoni Habedank
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